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In der kleinen Stadt an der französischen Riviera, die knapp 75.000 Einwohner zählt, versammeln sich alljährlich mehr als 200.000 Gäste – von Hollywoodstars über Filmproduzenten und Verleiher bis hin zu Journalisten aus aller Welt. Das Cannes Filmfestival ist längst mehr als nur eine Bühne für neue Filme: Es ist ein riesiger Marktplatz, auf dem Geschäfte in Milliardenhöhe abgewickelt werden. Forbes schätzt den wirtschaftlichen Wert des Festivals für die Stadt auf rund 200 Millionen Euro – fast ein Viertel der gesamten Tourismuseinnahmen des Jahres.

Während die Stars auf dem roten Teppich vor dem Palais des Festivals posieren, herrscht hinter den Kulissen Hochbetrieb. Verhandlungen, Premieren, Marketingaktionen: Das Marché du Film, einer der größten Filmmärkte weltweit, ist die zentrale Plattform, auf der die Schicksale zahlreicher Filme entschieden werden – oft noch bevor eine einzige Szene gedreht ist. Doch die Bedeutung von Cannes reicht weit über wirtschaftliche Kennzahlen hinaus. Hier werden Trends gesetzt, politische und kulturelle Statements formuliert und Impulse für die gesamte Branche gegeben.

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Halle Berry beim Photocall, Photo: Cannes Film Festival

Das Festival 2025 startet unter deutlich verschärften Kleidervorschriften: Von den Gästen wird ein zurückhaltenderes Erscheinungsbild verlangt, lange Schleppe und jegliche Form von Nacktheit sind verboten. Die amerikanische Schauspielerin und Jurorin Halle Berry gesteht, sie musste ihr Kleid noch in letzter Minute wechseln. „Ich hatte ein wunderschönes Kleid von Gaurav Gupta, aber die Schleppe passt nicht zu den neuen Regeln. Ich will sie nicht brechen – auch wenn es schade ist“, sagt sie bei der Pressekonferenz.

Zeitgleich sorgt ein politischer Donnerschlag für Aufsehen: US-Präsident Donald Trump kündigt an, 100-prozentige Zölle auf Filme zu erheben, die außerhalb der USA produziert werden. Für die Filmbranche bedeutet das einen ernsthaften Einschnitt in einen der letzten wirklich globalen Märkte. Besonders kritisch wird die geplante Unterminierung europäischer Fördermaßnahmen gesehen – von Ticketsteuern bis hin zu Quoten für nationale Produktionen in Landessprache.

Eddington
“Eddington”, film still, Photo: Cannes Film Festival

Vor diesem Hintergrund nutzt die weltweite Filmszene Cannes als Bühne für laute und eindringliche Statements. So löst die Premiere von Ari Asters Wettbewerbsbeitrag Eddington nicht nur filmkritische, sondern auch politische Debatten aus. Der während der Pandemie gedrehte Film ist eine eindringliche Antikriegserzählung über eine gespaltene USA – mit beeindruckenden Auftritten von Joaquin Phoenix und Pedro Pascal. Pascal sagt auf der Pressekonferenz offen: „Angst ist ihre Waffe. Erzählt weiter eure Geschichten. Kämpft weiter dafür, ihr selbst zu sein.“

Aster selbst beschreibt das Drehbuch als Produkt von „Angst und Unruhe“ – ein Versuch, das Gefühl eines Menschen zu vermitteln, der in einem Land lebt, in dem selbst die Realität umstritten ist. Die Handlung zeichnet den Konflikt zwischen Bürgermeister und Sheriff einer Kleinstadt in New Mexico nach, der zur Allegorie für den gesellschaftlichen Riss wird.

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Nouvelle Vague, film still, Photo: Cannes Film Festival

Etwas abseits der politischen Themen, aber mit deutlichen Anspielungen darauf, feiert Richard Linklater seine Premiere mit Nouvelle Vague. Der stilistisch streng gestaltete Schwarz-Weiß-Film rekonstruiert die Dreharbeiten zu Jean-Luc Godards Kultfilm À bout de souffle (Außer Atem) und wird im Hauptwettbewerb herzlich aufgenommen. Es ist Linklaters erster Film, der komplett auf Französisch gedreht wird. Auf die Frage nach den geplanten Zöllen reagiert der Regisseur gelassen: „Das ist unrealistisch. Dieser Mann (Trump) ändert seine Meinung fünfzigmal am Tag. Die Filmindustrie ist unser Exportgut – warum sollten wir uns selbst schaden?“

Linklater betont, dass die Branche schon immer unter Druck steht: „Das Kino hat immer seine Gegner, aber es passt sich an. Wir lieben Geschichten – und wir werden sie weiter erzählen.“

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