Einmal interviewte ich Greta Gerwig, die nach ihrer Premiere gelangweilt in einer Lounge am venezianischen Lido saß. Sie hat einen positiven Eindruck hinterlassen, einen warmen und ehrlichen. Sie sagte damals: „Ich habe kein Geld, aber viel Freizeit, weil der Beruf einer Schauspielerin vom Warten bestimmt ist. Bis man eine Rolle bekommt, dauert es Monate, manchmal Jahre. Das macht man sicher nicht wegen des Geldes“. Vielleicht wollte sie gerade aus diesem Grund zur Regie wechseln. Denn wenn man Regie führt, wartet man weniger. Im Gegenteil! Man kann sogar den anderen selbst etwas anbieten: nämlich die Rollen.
„Lady Bird“ war kein richtiger Erstling von Gerwig. Sie wirkte beim Drehbuchschreiben und Regie ihrer Kollegen bereits seit über zehn Jahren mit. Ihre erste Zusammenarbeit mit Joe Swanberg am Drehbuch und bei der Regie war für den Film „Hannah Takes the Stairs“ im Jahr 2007, danach folgten gemeinsame Filme mit Noah Baumbach, in denen sie gleiche Funktionen – die einer Schauspielerin, manchmal einer Ko-Regisseurin und Drehbuchschreiberin – übernommen hatte. Ich erinnere mich insbesondere an ihre Rollen in „Wiener Dog“ von Todd Solondzs, wo sie einen Dackel vor dem Tod rettet oder im Werk von Rebecca Miller „Maggie’s Plan“ – eine Komödie à la Woody Allens New-York-Trilogie – in der Gerwig eine Bohemienne spielt, die ihr Kind per Samenspende bekommen und allein erziehen will.
Im jüngsten Film vom Gerwig, ihrem Solo-Regie-Debut, geht es um eine College-Studentin namens Christine aka „Lady Bird“, die sich in ihrer Geburtsstadt Sacramento langweilt, eine katholische Schule besucht und dort rebelliert, sich für die finanziellen Nöte ihrer Familie schämt, eine Hassliebe zu ihrer Mutter pflegt und ihre ersten ernüchternden Erfahrungen mit Jungs macht. Die Irin Saoirse Ronan, aufgewachsen in New York City, spielt darin die Hauptrolle und schafft es tatsächlich, mit ihrem rebellischen Look und bunten Haaren als 23-jährige, eine 17-jährige darzustellen. In die Rollen zweier Kavaliere ihres Herzens schlüpfen Lucas Hedges und Timothée Chalamet. Der erste Junge – ein sensibler und toleranter Mensch – birgt leider ein Geheimnis, das ihre Beziehung unmöglich macht. Der andere ist viel zu cool, intellektuell und gelangweilt, um sich für Gefühle anderer Menschen zu interessieren.
Gerwig hat vielleicht nicht sich selbst in Lady Bird portraitiert, obwohl sie wie ihre Protagonistin aus Sacramento kommt. Doch eigentlich könnte Gerwig jeder der Jugendcharaktere sein, man hat ja die Neigung, alle eigenen Kreationen zu vermenschlichen. Zum Glück hat sie keine klassische Teenie-Komödie gedreht, obwohl auch in ihrem Werk die Story mit einem Abschlussball endet.
Die Frage stellt sich anders: Warum wählt eine erwachsene Frau ein Teenie-Drama für ihr Solo-Debüt als Regisseurin aus? Daran ist sicher nichts Außergewöhnliches. Ihr Kollege, der 50-jährige Amerikaner Wes Anderson, dreht immer noch genüsslich seine Filme über die erste Jugendliebe oder Animationen. Der Film von Gerwig befindet sich ebenfalls innerhalb und außerhalb der Fantasie der Jugendfilme, in einer Traumwelt, die wenig mit der Realität zu tun hat. Warum? Weil schließlich alle Filmschaffenden große und verträumte Kinder der Filmindustrie sind, einer Industrie für Erwachsene, die nicht groß werden wollen.