Zuerst war es Interesse, vielleicht eher Neugierde – wie würde Angelina Jolie die Rolle der berühmtesten Operndiva des 20. Jahrhunderts, Maria Callas, im Film von Pablo Larraín “Maria” verkörpern? Nach der Vorführung in Venedig wurde klar, dass es ihr nicht gelungen ist. Das Image der verführerischen Femme fatale, das Jolie schon zuvor in ihren Rollen kultiviert hatte – geheimnisvolle Blicke und die sinnliche Betonung ihrer Lippen – verschwand auch in ihrer Darstellung von Maria Callas nicht. Dabei verlangte die Rolle von Callas ein ganz anderes Temperament, die Emotionen, die Sängerin großzügig dem Publikum demonstrierte, und einem Gesang, der direkt vom Herzen kam und das Auditorium verzauberte.
Die Handlung des Films versetzt den Zuschauer nach Paris und zeigt die letzten Jahre im Leben der berühmten Sängerin. In dieser Zeit lebte Callas ein einsames Leben, umgeben nur von zwei Bediensteten. Sie versuchte, ihre Stimme wiederzufinden, und gleichzeitig tauchte sie in Erinnerungen an ihr vergangenes Leben ein.
Auch Larraín wollte man mit diesem Film eine Chance geben, mit allem Respekt zum Medium Film und den komplizierten Prozessen, die man durchläuft, um einen Film fertigzustellen. Aber auch das hat nicht funktioniert. Wenn es um Biografien von Berühmtheiten geht, erinnert Larraín an einen Influencer unter Journalisten, der nach einem festen Muster arbeitet: Er greift auf große Persönlichkeiten zurück, sei es Prinzessin Diana, Jackie Kennedy oder andere, und besetzt die Hauptrolle mit einem Star, ohne immer darauf zu achten, ob dieser wirklich in die Rolle passt. Das Ergebnis ist ein cineastisches Spektakel ohne Inhalt – eine Art kommerzielle Unterhaltung, die mehr durch sentimentale Oberflächlichkeiten besticht. Sein neuestes Projekt bildet da keine Ausnahme. Warum Jolie? fragten sich viele nach der Vorführung. Wahrscheinlich, weil sie ein Name ist, der die Massen anzieht – meinten andere.
Vor der Premiere hoffte man, dass Jolie sich zumindest mit den dokumentarischen Aufnahmen vertraut machen würde, in denen Callas live singt oder Interviews gibt. Aber gemessen an ihrer Darstellung hat sie das wohl nicht getan. Auf der Pressekonferenz erwähnte sie wiederholt die Gemeinheit der Medien, die schlecht mit Maria Callas umgegangen seien, nachdem sie ihre Stimme verloren hatte und dennoch versuchte, wieder auf der Bühne zu stehen. Das klang so, als ob die Amerikanerin versucht hätte, ihre misslungene Darstellung im Vorfeld zu rechtfertigen und sich gegenüber ihren Kritikern in eine Verteidigungsposition zu bringen. Kritiken braucht man ja nicht zu lesen. Viele von ihnen richten sich nicht an die Crew, sondern an ein intellektuelles Publikum, um Diskussionen anzustoßen und zum Nachdenken anzuregen.
Im Film gibt es eine Szene, in der Callas einem Bewunderer begegnet, der sie in einem Café anspricht und gesteht, dass sie ihm das Herz gebrochen habe, als sie ein lang erwartetes Konzert absagte. Sie antwortet ihm, dass die Oper durch Bauch und Herz geht und sich in der Stimme ausdrückt. In ihrem Fall bleibt dieser Effekt jedoch aus; es scheint, dass die Performance bereits im Kopf stirbt, bevor sie das Herz zu erreichen. So präsentiert uns Jolie ein Bild von Maria, aber nicht von Callas. Opernliebhaber und Anhänger des intellektuell stimulierten Kinos werden von diesem Film kaum berührt werden, und diejenigen, die an Jolie interessiert sind, wird es egal sein, in welchen Rollen sie spielt, da all ihre Figuren wie ein und dasselbe Gesicht wirken – das von Angelina Jolie.
Am nächsten Tag war es eine Erleichterung, Nicole Kidman in der Rolle eines charismatischen CEO zu sehen – und auch in Venedig. Ihre Protagonistin Romy beginnt eine Affäre à la “50 Shades of Grey” mit einem jungen und attraktiven Praktikanten namens Samuel. Sie trifft den jungen Mann zum ersten Mal auf einer Straße in New York, unweit ihres Büros, als es ihm gelingt, einen aggressiven Schäferhund, der Passanten angreift, vor ihr zu stoppen. In diesem Moment passierte etwas zwischen den beiden – er, jung, ohne Macht, aber mit starkem Führungswillen, und sie, die alles hat, und dazu noch ein unerfülltes Verlangen nach Unterwerfung, das sie in 19 Jahren Ehe mit einem liebenswürdigen Theaterregisseur (Antonio Banderas) nicht ausleben konnte, genauso wenig wie auch nur einen echten Orgasmus während des Sex. „Wenn ich das der Welt zeige, fühle ich mich auf jeden Fall bloßgestellt, verletzlich und verängstigt und all diese Dinge, aber es mit diesen Leuten hier zu tun, war heikel und intim“,erzählt Kidman den Journalisten in Venedig.
Die Niederländerin Halina Reijn – eine Schülerin von Paul Verhoeven – schafft einen fesselnden erotischen Thriller in den besten Traditionen ihres Lehrers. Doch sie geht etwas weiter, indem sie genauer auf die Bedürfnisse der Frauen eingeht. Während der Pressekonferenz gestand sie, dass einer der Hauptgründe für die Produktion von „Babygirl“ darin bestand, das sie anzusprechen will, was sie als „riesige Orgasmuslücke“ zwischen Männern und Frauen beschrieb, und fügte hinzu: „Männer, merkt euch das“. Darüber hinaus versucht sie zu verstehen, welche inneren Konflikte die Frauen all die Zeit verborgen haben und wie weit man gehen muss, um sie zu lösen. Der Film erforscht jedoch nicht nur die doppelte Natur des persönlichen und beruflichen Lebens von Frauen und auch von Männern, und nicht nur, dass Menschen im Innersten von tierischen Begierden getrieben bleiben, sondern auch, welche Schwierigkeiten sich Vertreter politisch korrekter Gesellschaften auferlegt haben, wo ihre wahre Natur und Wünsche zum Hindernis für Selbstausdruck und Entwicklung werden. Und „Babygirl“ impliziert, dass es nicht nur um die Hauptdarstellerin geht. Der Film präsentiert uns eine Gesellschaft, die immer stärker in Technologie und dem Gleichschritt von Unternehmensprotokollen verwurzelt ist, in der alles kontrolliert wird. Das nährt nur den Wunsch aller, aus dieser Gesellschaft auszubrechen.
Dieser Film handelt auch vom Orgasmus und davon, was Menschen bereit sind zu tun, um ihn zu erleben. Er handelt von der komplexen Natur des Menschen, unddass in jedem von uns etwas Unerklärliches steckt, für das wir nicht bestraft werden sollten, sondern die Möglichkeit zu haben, es frei auszudrücken und zu verstehen. Es geht auch um die Dynamik der Familie, darum, wie sich unsere Zeit auf Männer und Frauen ausgewirkt hat, und darum, wie wichtig es ist, Fehler zu machen, um weiterzukommen. Übrigens zeigt „Babygirl“ zum Schluss eine unerwartete Wendung, und das liegt daran, dass der Film nicht nur den Thriller-Motor anheizen will. Er will etwas Authentischen über die erotischen Erfahrungen von Frauen im Zeitalter der Kontrolle einfangen.