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Die Internationale Filmfestspiele in Cannes öffneten an der französischen Riviera ihre Tore. Wir bieten Ihnen einen Überblick über dieses Ereignis.

Es gibt Menschen, die den Beginn eines neuen Jahres am 1. Januar feiern. Andere zählen das Jahr ab ihrem Geburtstag. Aber es gibt auch jene, für die das neue Jahr mit dem Filmfestival von Cannes beginnt. Natürlich sprechen wir hier von einem neuen “Filmjahr”. Wenn sich diese Menschen auf der Croisette versammeln, der berühmten Promenade an der Côte d’Azur, begrüßen sie einander mit den Worten: „Es ist bereits ein weiteres Jahr vergangen?“, “Einen guten Neuen!” oder einfach nur “Willkommen zurück im Zirkus”. In diesen ersten Tagen in Cannes liegt etwas Frisches, Optimistisches und Hoffnungsvolles in der Luft. Als ob die Sonne heller scheint oder das Meer ist blauer als sonst. Die Neuankömmlinge sind noch voller Energie und Absicht, die kommenden Tage und Nächte in den Kinosälen zu verbringen. Wie immer sind die ersten Tage angefüllt mit Sensationen und Skandalen.

Kurz vor der Eröffnung des Filmfestivals wurde Ruben Östlund, der diesjährige Präsident der Internationalen Jury, auf einer Pressekonferenz gefragt, ob er nicht endlich einen “Oscar” für seinen Film erhalten möchte. Der stolze Schwede antwortete darauf, dass er zur europäischen Kinotradition gehöre und es ihm wichtiger sei, seine dritte “Goldene Palme” zu bekommen als den ersten “Oscar”. Weitere Fragen wurden nicht gestellt!

Ein besonderer Moment bei der Festivaleröffnung war das Erscheinen des 78-jährigen Michael Douglas auf der Bühne des Lumière-Kinos. Ihm wurde die “Goldene Palme” für seine Verdienste im Film verliehen. Für die Fans des amerikanischen Schauspielers und natürlich für seine Familie (seine Tochter und seine Ehefrau, die Schauspielerin Catherine Zeta-Jones, waren bei der Verleihung anwesend) war es ein aufregender Moment, als Ausschnitte aus seinen bekanntesten Filmen auf der großen Leinwand gezeigt wurden. Am selben Abend betrat die französische Schauspielerin Catherine Deneuve die Bühne. In diesem Jahr schmückte ihr Bild das offizielle Plakat des Filmfestivals. Das Foto wurde 1968 während der Dreharbeiten zu dem Film “La Chamade” von Alain Cavalier aufgenommen. In diesem Jahr verkündete sie die magischen: “Das Cannes Festival ist hiermit eröffnet”.

Die ersten beiden Tage waren von Diskussionen um den Film “Jeanne Du Barry” der Französin Maïwenn geprägt. Maïwenn hatte schon lange den Wunsch, die Favoritin des französischen Königs zu spielen. Sie sehnte nach Aufmerksamkeit und sie wollte im Zentrum des Geschehens sowie dem konservativen königlichen Hof in Versailles trotzen.  

Für die Rolle des Königs lud sie den Amerikaner Johnny Depp ein. Laut ihren eigenen Worten hatte sie davon schon lange geträumt, mit Depp zusammenzuarbeiten, genau gesagt, seit dem Moment, als sie seinen Film “Cry-Baby” gesehen hat. Allerdings teilte nicht jeder auf dem Festival ihre Verliebtheit. Die Franzosen waren verwirrt darüber, wie ein “Typ aus Kentucky” den französischen Monarchen spielte, und die Amerikaner waren überrascht, dass Depp trotz der Skandale um seine Person und des Vorwurfs der “Misshandlung seiner Frau” von vielen Filmprojekten ausgeschlossen wurde, aber für Dreharbeiten nach Frankreich eingeladen wurde. 

Du Barry
“Jeanne Du Barry” von Maïwenn, Courtesy Cannes Film Festival

Obwohl Johnny Depp bei der Premiere noch freundlich in die Kamera lächelte und die Menge lautstark seinen Namen rief, musste er während der Pressekonferenz auf einige harte Fragen der Journalisten antworten. Selbst die Tatsache, dass er eine halbe Stunde nach Beginn der Konferenz erschien, konnte ihn nicht retten. Die Pressevertreter interessierten sich dafür, ob der Schauspieler einen Boykott aus Hollywood spüre. Darauf antwortete er, dass “er Hollywood nicht brauche”. Danach folgte eine Reihe von Metaphern. Zuerst philosophierte der Schauspieler darüber, dass wir in einer seltsamen und amüsanten Zeit leben, in der jeder von uns gerne er selbst wäre, aber den Regeln folgen und “auf der einen Seite der Linie” stehen müsse. Die gegen ihn gerichteten Klagen bezeichnete er als “schlecht konstruierte Fiktion”, “fantastische und schrecklich geschriebene Erfindungen”. Schließlich beendete er seine Rede mit einer noch abstrakterenAussage: “Stellt euch vor, wenn man euch sagt, dass ihr nicht mehr zu McDonald’s gehen könnt… niemals (lange Pause)… Wenn ihr all diese Leute in einem Raum versammeln würdet, etwa 39 böswillige Typen, die nun beobachten, wie ich einen Big Mac esse. Wer sind sie? Warum kümmert es sie? Irgendwelche Organismen… ein Turm aus Kartoffelpüree, beleuchtet vom Licht der Computerbildschirme.”

Lassen Sie uns dem Film zuwenden. Im Wesentlichen handelt es sich um eine gut gemachte historische Fiktion, die sich weniger auf die Chronologie der Zeitkonzentriert, sondern auf die Liebesbeziehung zwischen dem König und seiner Favoritin. Maïwenn scheint sich in dieser Rolle zu suhlen und ihre Einzigartigkeit gerne zur Schau zu stellen. Über Louis XV. ist bekannt, dass er ein großer Kunstliebhaber, ein Förderer von Künstlern war, wofür er den Beinamen “Beloved” erhielt. In der aktuellen Geschichte gab es jedoch nichts, was auf seine Spiritualität und kreativen Interessen hinwies. Stattdessen wurde ein müder, depressiver und gealterter Frauenheld dargestellt. Ob es der Charakter Louis XV. war, der für den erschöpften Depp so müde wirkte, oder ob Depp selbst, erschöpft von Skandalen, fast leblos aussah, ist schwer nachzuvollziehen. In den meisten Szenen hatte er ein grimmiges Gesicht eines Leidenders, gelegentlich spielte er Angst vor den möglichen Konsequenzen seines Ausschweifens. Da der Film nicht im Wettbewerb war, konnte man ihn ruhig verpassen.

Monster
“Monster” von Hirokazu Koreeda, Courtesy Cannes Film Festival

Im Mittelpunkt der Handlung von “Monster” des japanischen Regisseurs Hirokazu Koreeda steht eine Mutter, die ihren Sohn Minato alleine aufzieht. Der Junge hat erhebliche Schwierigkeiten in der Grundschule und kommt mit Spuren von Misshandlungen nach Hause. Der neue Schullehrer Hori wird des Missbrauchs beschuldigt. Die Situation ist jedoch nicht so einfach, wie es auf den ersten Blick scheint. Koreeda verwendet einen beliebten Ansatz von Akira Kurosawa aus dem Film “Rashomon”, der auf den Prinzipien subjektiver Wahrnehmung und Interpretation von Ereignissen basiert. Er zeigt uns den Verlauf der Ereignisse aus der Sicht verschiedener Protagonisten. Warum der Film “Monster” heißt und wo man es suchen sollte, bleibt jedoch bis zum Ende des Films ein Rätsel. Vielleicht sind die Monster allmählich in den Protagonisten selbst versteckt, obwohl ich sie eher als “Dämonen” bezeichnen würde, oder sie sind in uns allen zu finden. Auf diese Frage gibt es keine eindeutige und richtige Aussage, und jede Antwort wäre richtig. Der Film berührt viele komplexe Themen, sei es die Schwierigkeiten des Erwachsenwerdens oder die Herausforderungen menschlicher Beziehungen. Das Thema der Liebe zwischen zwei Teenagern interessierte viele Journalisten. Koreeda wurde gefragt, wie akzeptiert das Thema LGBT in Japan sei. Während der Regisseur darüber nachdachte, wie er es am besten erklären könnte, kam ihm sein junger Protagonist zu Hilfe und sagte, dass es für ihn keinen Unterschied mache, “einen anderen Jungen” zu lieben, als “Äpfel zu lieben”, und dass es nichts Seltsames oder Unnatürliches sei, jemanden zu lieben.

Flies
Sean Penn und Tye Sheridan in “Black Flies”, Courtesy Cannes Film Festival

“Black Flies” des Regisseurs Jean-Stéphane Sauvaire mit Sean Penn und Tye Sheridan in den Hauptrollen erwies sich als düsterster Film der ersten Tage. Die Handlung dreht sich um die Sanitäter im Rettungsdienst, die dringende Hilfe für die “Verstoßenen dieser Welt” leisten: Einwanderern, Menschen verschiedener Rassen und Nationalitäten, Obdachlosen und anderen in dem niemals schlafenden New York. Penns Figur wurde stets mit halb geschlossenen Augen und einem Zahnstocher im Mund auf der Leinwand gezeigt. Sheridan spielte einen jungen und emotional instabilen Absolventen der medizinischen Schule, der mit Mühe das Leiden und den Tod der “Erniedrigten und Beleidigten” verkraftet, was sein Leben letztendlich unerträglich macht. Die Handlung des Films war ziemlich vorhersehbar. Die schnelle, beunruhigende Kamera, blendende Lichtblitze und der ständig dröhnende Soundtrack haben eine erstickende Atmosphäre der Hoffnungslosigkeit geschaffen. Der Film beeindruckt eher mit seinen technischen Tricks als mit der Dramaturgie. Ähnliches Thema gelang Martin Scorsese viel besser in seinem Film “Bringing out the Dead”, in dem Nicolas Cage die Hauptrolle spielte.

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