Nach der erfolgreichen Einführung beim letztjährigen International Film Festival and Awards Macao (IFFAM) kehrt das Programm „Neues Chinesisches Kino“ (NCC) zur gleichen Veranstaltung zurück.
Eine Mission des Festivals in Macao ist es, ein lokales Publikum zu gewinnen, das häufig nicht die Möglichkeit hat, unabhängige chinesischsprachige Filme zu sehen. Die zweite Aufgabe ist es, internationale Gäste über die neuesten Entwicklungen des modernen chinesischen Kinos zu informieren. Das NCC-Programm bietet hierzu eine entsprechende Plattform mit sieben chinesischsprachigen Filmen aus Festlandchina, Singapur und den USA an, die auf dem diesjährigen Filmfestival präsentiert wurden.
Der Debüt-Spielfilm „Dwelling in the Fuchun Mountains“ von Gu Xiaogang wurde als der erste Teil einer Trilogie geplant und zeigt kleine menschliche Dramen, die in verschiedenen Städten Chinas entlang des Flusses Jangtse stattfinden. Der Regisseur fing 2017 mit wenig finanzieller Unterstützung an zu filmen und engagierte Einheimische, einschließlich seiner Familie und Freunde. Der Film wurde als Abschlussfilm der Woche der Filmkritik in Cannes uraufgeführt und war bereits ein großer Gewinner bei Chinas erstem internationalem Filmfestival in Xining, wo er den Preis als bester Film gewann. Der Regisseur benannte seinen Erstling nach einem gleichnamigen Landschaftsbild von Huang Gongwang aus dem 14. Jahrhundert. Im Film geht es um eine 70-jährige Matriarchin und ihre vier Söhne. Gedreht über zwei Jahre und mit einer Laufzeit von 150 Minuten folgt der Film dem Leben der Familie so wie der Betrachter dem Bild folgt. Die einzelnen Szenen entwickeln sich so langsam, als würde der Zuschauer manuell scrollen.
Die Story spielt in der Heimatstadt des Regisseurs, Fuyang, der eine lange Kulturgeschichte hat und, so wie im benannten Gemälde, eingebettet in eine Berg- und Flusslandschaft liegt. Nachdem 2016 der G20-Gipfel in dieser einstmals verschlafenen Kleinstadt stattfand, musste Hangzhou mit enormen sozialen und wirtschaftlichen Veränderungen umgehen. Die vielschichtige Erzählung droht immer wieder in Richtung Melodrama zu kippen, jedoch schafft es der Regisseur, die Kontrolle über die Handlung zu behalten sowie seine Darsteller ausgezeichnet zu führen. Er lässt die Schicksalsschläge als unvermeidlich erscheinen, aber verbindet sie gleichzeitig poetisch mit den wechselnden Jahreszeiten, was den Zuschauer sowie die Jury vollkommen überzeugt. Der Produktion wurde beim Festival in Macao mit dem Preis für den besten Film ausgezeichnet.
Das Debüt „Wisdom Tooth“ eines anderen Regisseurs vom chinesischen Festland, Liang Ming, der als Schauspieler seine Karriere in der Filmindustrie anfing, handelt von einem jungen Mädchen, das offizielle Zulassungspapiere benötigt, um seinen Job zu behalten, seinem Bruder, der in einen Kriminalfall verwickelt ist, seiner mysteriösen Freundin und einem Videoband, das die Wahrheit über den Mord eines lokalen Fischers zu enthüllen droht. Der Film spielt vor dem Hintergrund karger winterlicher Landschaften in der Provinz Liaoning, in einer Stadt an der nordwestlichen Grenze Chinas, wo die chinesische und koreanische Bevölkerung Seite an Seite leben. Der Regisseur widmet seinen Erstling der Jugend, dem Thema Erwachsenwerden, das nie einfach war und der Hoffnung, die die neuen Generationen auch an den traurigsten Orten und unter hoffnungslosen Bedingungen mit sich bringen. Man könnte den Eindruck gewinnen, dass der Film ohne richtige Konflikte beziehungsweise ohne ihre Auflösungen bleibt. Doch schafft es der Regisseur, ein seltenes individualistisches Portrait des Ortes und seine Charaktere zu kreieren, mit vielen Kodierungen und Symbolen, die sich dem erfahrenen Zuschauer nach und nach offenbaren und für die ein anderer, weniger erfahrener, vielleicht etwas mehr Zeit braucht. „Wisdom Tooth“ feierte seine Weltpremiere auf dem Pingyao International Film Festival (PYIFF), wo er sowohl mit dem Fei Mu Award für den besten Regisseur als auch mit einem Preis der Jury ausgezeichnet wurde.
Der zweite Film „To Live To Sing“ des Regisseurs Johnny Ma zeigt eine der wenigen verbliebenen Sichuan-Operngruppen, die immer noch auf traditionelle Weise auftreten. Der gebürtige Shanghaier emigrierte im Alter von zehn Jahren nach Toronto und absolvierte später das Filmprogramm an der New Yorker Columbia University. Das Filmteam besteht aus einer internationalen Crew, zu der der in China lebende belgische Kameramann Matthias Delvaux, die argentinische Cutterin Ana Godoy und die südkoreanischen Komponisten You Jongho und Kim Jimin gehören. Der Spielfilmdebüt von Johnny Ma „Old Stone“ über einen chinesischen Taxifahrer wurde 2016 im Berlinale-Forum uraufgeführt und als bester kanadischer Erstlingsfilm in Toronto und als bester Erstlingsfilm bei den kanadischen Screen Awards ausgezeichnet. Im zweiten Spielfilm geht es um den Untergang eines traditionellen chinesischen Theaters. Wenn ein heruntergekommenes Theater abgerissen werden soll, bedeutet das häufig auch das Ende der kleinen Gruppe der Theaterschaffenden. Sie gehören einer anderen Zeit an, in der sie für ihr Handwerk und Können gefeiert wurden. Aber im modernen China, wo Traditionen verschwinden, kämpft das Theater ums Überleben. Es ist die perfekte Metapher, um das große Thema der Traditionen zu erforschen, die gegen den Wandel der Zeit in der modernen Gesellschaft kämpfen. Nach seiner Weltpremiere in “Director‘s Fortnight” in Cannes hat der Film an über 30 Festivals teilgenommen, darunter Shanghai, wo es beim asiatischen Nachwuchswettbewerb die Preise für den besten Film und die besten Schauspielerinnen gewann.
Sieben Jahre nach seinem Gewinn der „Camera d’Or“ in Cannes mit „Ilo Ilo“ kehrt der singapurische Filmemacher Anthony Chen mit „Wet Season“ zur Regie zurück und arbeitet abermals mit den Schauspielern Yeo Yann Yann und Ko Kia Ler zusammen. Chen war schon immer an der Erforschung der weiblichen Identität interessiert. In „Ilo Ilo“ ging es um die mütterliche Beziehung zwischen einer Haushaltshilfe und einem kleinen Jungen, während sich sein neuer Film auf eine Chinesischlehrerin konzentriert, die Schwierigkeiten hat, schwanger zu werden. Der in Großbritannien ansässige Regisseur wurde von seinem eigenen Leben zu dieser Story inspiriert, als er und seine Frau sich mit ihren eigenen Herausforderungen, eine Familie zu gründen, auseinandersetzten und das Instrumentarium künstlicher Befruchtung wie Injektionen, Tabletten und Krankenhausbesuche zur Routine werden. Der Film spielt während der Regenzeit in Singapur, weil Chen den Regen als einen selbstständigen Filmprotagonisten betrachtet. Außerdem steht er als Metapher für die wachsende Verzweiflung der weiblichen Hauptfigur und sogar als Symbol für den Tod eines Charakters. Nach der Premiere in Toronto gewann der Film ebenfalls Fei Mu Awards im Rahmen des PYIFF für den besten Film, den besten Regisseur und die beste Schauspielerin. Er war Eröffnungsfilm beim International Film Festival in Singapur und erhielt sechs Nominierungen bei den „Golden Horse“ Awards, darunter den besten Film.
„Welche Welt wollen wir den jungen Menschen hinterlassen?“ fragt sich der in Hong Kong geborene Regisseur Derek Tsang in einem Film „Better Days“, der von einer Studentin erzählt, die in einem verwaisten Straßenjungen einen Verbündeten findet, als sie auf dem Campus belästigt und in einen Mord verwickelt wird. Basierend auf dem Roman “Young and Beautiful” von Jiu Yuexi soll der Film Einblicke in Chinas weit verbreitete Gewalt an den Schulen und in die wettbewerbsintensive Aufnahmeprüfungen zeigen, welche jedes Jahr über zehn Millionen junge Menschen ablegen. Der Film kam bereits am 25. Oktober in die chinesischen Kinos und wurde zu einer Sensation. Er brachte allein in China mehr als 200 Millionen Dollar ein (mit einem Produktionsbudget von nur zwölf Millionen Dollar).
Das Spielfilmdebüt „Over The Sea“ des chinesischen Regisseurs Sun Aoqian befasst sich mit dem gravierenden sozialen Problem der zurückgelassenen Kinder, einem Nebenprodukt der rasanten wirtschaftlichen Entwicklung Chinas, bei der Landarbeiter in die Großstädte ziehen, ihre Kinder jedoch nicht mitnehmen können. Die Geschichte handelt von einem solchen elfjährigen Jungen, der bei seinem Onkel lebt und vor der Polizei eine Falschaussage machen muss, als der ältere Mann bei einem Autounfall verletzt wird. Der Film ist ein einfühlsames Porträt der Unschuld der Jugend in der komplexen Gesellschaft. Der junge Darsteller, Yu Kunjie, war selbst ein Kind, das zurückgelassen wurde, während der Onkel von Suns wirklichem Onkel gespielt wird, der tatsächlich ein Autobahnhotel betreibt. Der Film hatte seine Weltpremiere beim Busan International Film Festival und beim Pingyao International Film Festival (PYIFF).
Ebenfalls ein Spielfilmdebüt ist „Lucky Grandma“ von der in New York geborenen Chinesin Sasie Sealy, eine düstere Komödie über das Leben von Einwanderern. Die Story konzentriert sich auf eine verwitwete Großmutter, die sich an einem glückverheißenden Tag dazu entschließt, in ein Casino zu gehen. Leider landet sie auf der falschen Seite eines chinesischen Bandenkrieges.
Der Film wurde im New Yorker Chinatown mit einer asiatischen und asiatisch-amerikanischen Besetzung gedreht. Das Team hinter der Kamera ist weiblich. Zu ihm gehören die Co-Autorin Angela Cheng, die Produzentinnen Cara Marcous und Krista Parris sowie die Regisseurin selbst. Das Projekt wurde 2018 mit einem Stipendium in Höhe von einer Miollion Dollar von AT & T Presents in Zusammenarbeit mit dem Tribeca Film Festival ausgezeichnet, das sich der Entwicklung unterrepräsentierter Inhalte widmet. Daher feierte der Film seine Weltpremiere in Tribeca, wo die Regisseurin davor die Preise für ihre Kurzfilme „The Elephand Garden“ und „Dante Mania Fantastic“ gewann. Auf der IFFAM feierte die Produktion ihre Asienpremiere.