Seit seiner Premiere im Oktober 2021 wurde „Squid Game“ binnen drei Wochen von 142 Millionen Nutzern in 94 Ländern angesehen. Die Serie blieb 46 Tage lang die Nummer eins und Netflix erzielte bis heute eine Milliarde Dollar Gewinn.

Die Story: Die Handlung dreht sich um 456 hoch verschuldete Menschen verschiedener Altersgruppen und aus unterschiedlichen Gesellschaftsschichten, die eine anonyme Einladung erhalten, bei Spielen teilzunehmen und eine riesige Geldsumme zu gewinnen. Sie kommen auf einer geheimen Insel zusammen, ohne zu ahnen, dass die Niederlage in nur einem einzigen der Spiele sie ihr Leben kosten wird. „Squid Game“ greift die kulturelle Obsession Koreas für Spiel-, Quiz- sowie Reality-Shows auf und nimmt sogar Bezug auf die beliebte koreanische Show „Janghak Quiz“: Am ersten Morgen auf der Insel werden die Teilnehmer des Spiels mit dem Trompetenkonzert von Joseph Haydn geweckt, das als Signalmusik in der TV-Show verwendet wurde.

Copyright: Netflix

Der Protagonist: Song Ki-hoon hat im Leben einige falsche Entscheidungen getroffen. Vor Beginn des Spiels war er in der Autofabrik „Dragon Motors“ beschäftigt, wo Arbeiter wegen illegaler Entlassungen streikten. Dieser Arbeitskampf wurde aber niedergeschlagen. Ki-hoon versuchte, einem verletzten Kollegen zu helfen und verpasste dadurch die Geburt seiner Tochter. Seine Frau ließ sich von ihm scheiden. Eine posttraumatische Belastungsstörung führte ihn letztlich in die Depressionen und Spielsucht. Seine Versuche, beruflich wieder Fuß zu fassen, brachten ihm nur Schulden ein. Am Ende findet er sich in einer Uniform auf besagter Insel wieder.

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Pro und Kontra: Wie jede erfolgreiche Serie hat auch „Squid Game“ Fans und Kritiker. Die Kritiker behaupten, Hwang Dong-hyuk, der das Drehbuch zu „Squid Game“ bereits 2008 schrieb, habe einige Ideen von anderen geliehen. Tatsächlich hat diese Produktion viele Ähnlichkeiten mit “Battle Royale”, “Hunger Games” oder “Game of Thrones”: Bei allen drei finden Überlebensspiele auf einer einsamen Insel mit Marionettenhelden statt. Kritisiert wurde auch die Vorhersehbarkeit, also, dass man bereits ab der ersten Folge die ganze Handlung verstehen kann.

Die Spannung fußt ausschließlich auf dem Unterhaltungswert der Spiele. All das kann man so sehen und vielleicht spielen die Teilnehmer in “Battle Royal” oder “Hunger Games” auch um ihr Leben, dennoch werden die Schlüsselfiguren der koreanischen Serie etwas authentischer und lebendiger gezeigt. Jeder hat seine eigene Geschichte, die das Handeln im Spiel zwar nicht rechtfertigt, aber zumindest die Motivation nachvollziehen lässt. Die Verzweiflung ist glaubwürdig. Die Charaktere bleiben auch nicht statisch, sondern verändern sich parallel zur Entwicklung der Spiele.

In jeder neuen Runde müssen sie schwierigere Entscheidungen treffen und somit wird „Squid Game“ zu einer Studie der menschlichen Psyche, die die Natur des Guten und Bösen untersucht. Man kann sagen, „Squid Game“ ist eine Art Menschlichkeitstest der heutigen Gesellschaft, die von finanziellen und politischen Krisen sowie einer Pandemie heimgesucht wird und deren Spaltung mit brutaler Geschwindigkeit voranschreitet.

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Gewalt und soziale Ungleichheit: Soziale Ungleichheit als Thema ist auch nichts Neues im koreanischen Kino, insbesondere bei realistischen New Wave Dramen. In 2011 schrieb Hwang Dong-hyuk mit seinem Film „The Crucible“ koreanische Filmgeschichte. Darin spielt Gong-yoo (in „Squid Game“ sehen wir ihn als Anwerber für die Spiele) einen Lehrer an einem Internat für gehörlose Kinder, der von dem sexuellen Missbrauch der Schüler durch die Lehrer und die Schulleitung erfährt.

Seine Versuche, die Kinder zu retten und die Täter ihren Strafen zuzuführen, bleibt ohne Erfolg. Der Film basiert auf realen Ereignissen, die sich Anfang der 2000er-Jahre im Internat Gwangju-Inhwa zugetragen haben: Die gewalttätigen Lehrer kamen mit Bewährungsstrafen davon und kehrten an ihren Arbeitsplatz zurück. Nach der Premiere des Films lösten die geschilderten Ereignisse jedoch eine gewaltige Welle der Empörung aus, die letztlich zu einem neuen Strafprozess, einer Gesetzesänderung (Togani-Gesetz wurde nach dem koreanischen Filmtitel „Dogani“ genannt) und zur Schließung des Internats führten.

Auch die dargestellte Gewalt überschreitet in keiner Weise die Grenzen, die die bisher produzierten Filme wie etwa Kim Ki-duks „Pietà“ (2012) gesetzt hat. Natürlich sollte auch erwähnt werden, dass die genannten Filme zum Genre des unabhängigen Kinos gehören, das nun mal bekannt ist für seine Experimente, während „Squid Game“ in die Kategorie „Mainstream“ fällt.

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Ein Grund für den Erfolg von „Squid Game“ liegt nicht so sehr im Konzept, sondern in seiner ungewöhnlichen visuellen Präsentation und Ästhetik. Die grünen Kostüme der Teilnehmer sowie die roten der Wachen und deren Masken, auf die geometrische Formen gezeichnet sind, sehen wirklich gut aus. Die Kinderspiele mit verständlichen Regeln sind leicht wiederholbar, und TikTok-Nutzer haben die Spiele bereits nachgeahmt. Ein anderer Grund für den Erfolg ist die ungewöhnliche Idee für ein Mainstream-Format.

Hin und wieder bietet Netflix aufstrebenden Schöpfern die Möglichkeit, sich kreativ auszutoben und ihre eigenen Ideen einzubringen, die bei lokalen Mediengiganten keine Chancen hätten. Natürlich erwartet der Streamingdienst Abonnenten und Gewinne. Die Chancen dafür steigen umso mehr, wenn ein Regisseur in einflussreicher Position die kreative Kontrolle über seine Produktion übernehmen kann und seine Überzeugungen im populären Genrekino kommuniziert.

Sind diese Voraussetzungen erfüllt, dann lässt sich der Auftraggeber auf Experimente ein und ermöglicht Produktionen, die Menschen zeigen, die durch Wirtschaftskrisen, fehlgeleitete Politik oder Arbeitgeberwillkür in Armut geraten sind, die über die Illusion der Meritokratie sprechen sowie über die Täuschung der „Chancengleichheit“.

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