Vor drei Jahrzehnten begann Kate Winslet ihre Kinokarriere mit einer Rolle in Peter Jacksons „Heavenly Creatures“. Seither hat sich die britische Schauspielerin als eine der vielseitigsten und erfolgreichsten Künstlerinnen unserer Zeit etabliert. Ihre Rollenvielfalt erstreckt sich von Blockbustern wie „Titanic“ über Arthouse-Hits wie „Vergiss mein nicht!“ bis hin zu Kostümdramen wie „Sinn und Sinnlichkeit“ und Bestseller-Adaptionen wie „Der Vorleser“. Ebenso überzeugte sie in Komödien wie „Liebe braucht keine Ferien“ und Science-Fiction-Filmen wie „Avatar: The Way of Water“ sowie in Serien wie „The Regime“.
Am 2. Juli wurde die Oscar-Gewinnerin beim Filmfest München mit dem CineMerit Award geehrt. Winslet war persönlich anwesend und nutzte die Gelegenheit, um ihren neuen Film „Die Fotografin“ vorzustellen. In diesem Biopic über das Leben von Lee Miller übernimmt die 48-Jährige nicht nur die Hauptrolle, sondern hat den Film auch gemeinsam mit Kate Solomon produziert.
Lee Miller gelang es während des Zweiten Weltkriegs, gegen alle Widerstände als Kriegsberichterstatterin für die US-Ausgabe der Zeitschrift „Vogue“ an die Front zu gelangen – ein Bereich, der bis dahin ausschließlich Männern vorbehalten war. Ihre Fotos, darunter Aufnahmen von der Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau, wurden zu wichtigen Zeitdokumenten.
Winslets Interesse an Lee Miller begann auf unerwartete Weise. Eine Freundin, die in einem Auktionshaus arbeitet, erzählte ihr von einem Vintage-Tisch, der einst Miller gehörte. „Dieser Tisch stand in Millers Küche im Farley Farm House in Chiddingly, und an ihm haben solche Persönlichkeiten wie Man Ray, Picasso und Max Ernst gegessen,“ erinnert sich Winslet, „Ich kauften diesen Tisch, legte meine Hände darauf und dachte über Lee Miller nach, wer sie war, wie sie lebte. Ich dachte: „Lass mich einen genaueren Blick auf ihr Leben werfen.“ Und das war der Beginn meiner Reise, die acht Jahre dauerte.
Das Produzieren von “Die Fotografin” war für Winslet eine neue und herausfordernde Erfahrung. Trotz ihrer umfangreichen Kenntnisse in der Filmbranche war die Rolle der Produzentin in vielerlei Hinsicht anspruchsvoller als erwartet. Fünf Jahre lang arbeitete Winslet an der Entwicklung des Projekts, bevor Produzentin Kate Solomon hinzukam. Solomon brachte eine klare und pragmatische Herangehensweise in die Produktion ein. Ihre enge Zusammenarbeit führte dazu, dass sie oft als „die Kates“ bezeichnet wurden, was die einzigartige Dynamik ihrer Partnerschaft unterstrich. Die Produktion verlief nicht ohne Rückschläge. Am ersten Drehtag, als Winslet die Szene probte, rutschte sie aus und verletzte sich den Rücken „Ich hatte drei große Hämatome an meiner Wirbelsäule und konnte kaum stehen,“ berichtet sie. Entschlossen, dass es keine Verzögerungen geben würde, hielt sie sich trotz der Schmerzen an den Zeitplan. Das bedeutete, vor 4 Uhr morgens aufzustehen, um 5 Uhr Haare und Make-up zu machen und vor 7 Uhr am Set zu sein. Es bedeutete auch, zwischen Schauspielerei und Produktion hin- und herzuwechseln und Anrufe von potenziellen Investoren entgegenzunehmen. „Ich dachte, dass es wahrscheinlich Lee war, die mich herausforderte, also spielte ich jetzt nicht sie, sondern wurde zu ihr – mit denselben Rückenschmerzen,“ erzählt Winslet. Eine weitere Herausforderung war es, Millers amerikanischen Akzent zu meistern, wofür die Unterstützung eines Dialekt-Coaches in Anspruch genommen wurde, der während der Dreharbeiten mit Winslet und Solomon zusammenlebte.
Lee Millers Leben war ein Mosaik bemerkenswerter Erfahrungen. Bekannt wurde sie zunächst als Model, später als renommierte Fotografin, die ikonische Bilder wie die Befreiung der Konzentrationslager Buchenwald und Dachau einfing. Auch in den 30 Jahren nach dem Krieg passierte noch viel in Millers Leben: Sie wurde Mutter, besuchte die Elite-Kochschule Le Cordon Bleu und erfand sich als Köchin neu. Man konnte Millers Biografie problemlos als eine TV-Serie filmen, aber Winslet hat sich für einen Film entschieden und sich auf eine Periode konzentrieren, in der Miller Fotografin wurde. „Wir haben uns schon früh entschieden, die Geschichte eines Jahrzehnts zu erzählen, als sie Kriegsfotografin war, ihrer schwersten Zeit, über die sie nie sprach, nicht einmal mit ihrem Sohn“. Dabei hat die Britin eine nötige Balance gehalten, um die historische Authentizität, ohne das Publikum zu sehr in die Dunkelheit der Zeit mitnehmen.
Für die Regie wählte Winslet die Amerikanerin Ellen Kuras, eine erfahrene Kamerafrau, die sie seit über zwei Jahrzehnten kennt. „Die Fotografin“ wurde Kuras’ Regiedebut im Spielfilmgenre auf der großen Leinwand. Und dies noch im Alter von 63. „Es war mir wichtig, dass eine Frau diese weiblich zentrierte Geschichte erzählt, um eine nuancierte und empathische Darstellung zu gewährleisten,“ betont Winslet ihre Wahl. Winslets eigener Hintergrund im Fotojournalismus und ihre Erfahrung mit der Dokumentation von Konflikten fügten ihrer Darstellung von Miller eine weitere Ebene der Authentizität hinzu. Sie bestand darauf, eine echte Vintage-Kamera während der Dreharbeiten zu verwenden und sich vollständig in die Rolle zu vertiefen.
Winslet und Miller scheinen viel gemeinsam zu haben – unglaubliche Resistenz, Entschlossenheit und Courage. Winslet sieht ihre Aufgabe darin, ihre Stärke mit anderen Frauen zu teilen. Während sie in München vor dem Auditorium über ihren Film sprach, forderte sie alle anwesenden Frauen auf zu sagen: „Ich glaube an mich. Es ist egal, was andere denken, das bin ich.“