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Mit seinem jüngsten Meisterwerk „Poor Things“ begeisterte Yorgos Lanthimos im vergangenen Jahr die Welt. Als Regisseur, der für seine provokanten und unkonventionellen Werke bekannt ist, hat er jedoch in Cannes dieses Jahr den ersten Platz seinem französischen Kollegen Jacques Audiard mit seinem Musical „Emilia Perez“ überlassen. 

Für seinen neuesten Film “Kind of Kindness” ließ sich der Grieche Yorgos Lanthimos von der Biografie des römischen Kaisers Caligula inspirieren. Er untersucht die Frage, wie eine einzelne Person so viel Macht über andere ausüben kann. Der Film besteht aus drei separaten Geschichten: In der ersten gibt der gehorsame Angestellte, gespielt von Jesse Plemons, seinem Boss, einer Art modernem Caligula, dargestellt von Willem Dafoe, Einblick in alle Aspekte seines Lebens, von seinem täglichen Aussehen und Menü bis hin zur Wahl seiner Frau und der Häufigkeit des Geschlechtsverkehrs mit ihr. Der Untergebene gehorcht blind den Anweisungen seines Chefs, auch wenn dies zu Selbstzerstörung führt. Doch als es um den letzten Wunsch des Chefs geht, einen Menschen zu töten, beginnt der Bedauernswerte erstmals über die Folgen seines Handelns nachzudenken.

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Kind of Kindness, Foto: Cannes Film Festival

In der zweiten Geschichte spielt Jesse Plemons einen Polizisten, dessen Frau verschwindet. Er trauert um sie, während er bei seinem Freund und dessen Frau zu Besuch ist und Videos ansieht, wie sie alle Gruppensex haben. Plötzlich kehrt seine Frau (Emma Stone) zurück und verhält sich seltsam. Der Polizist beginnt seltsame Gefühle zu empfinden und überprüft die Treue seiner Frau mit verschiedenen Methoden, zum Beispiel indem er sie bittet, ihm ihren angebrannten Finger zu schenken. In der dritten Geschichte spielt Emma Stone eine Frau, die ihre Familie verlässt und sich auf die Suche nach einem Guru macht, dargestellt von Willem Dafoe. Der exzentrische Sektenführer stellt seinen Anhängern seltsame Anforderungen als Beweis für ihre Hingabe. Er besteht auf ihrer Reinheit und verbietet den Schülern, jegliche “schmutzigen Flüssigkeiten” zu sich zu nehmen (einschließlich Alkohol und Sperma). Für ihren Gehorsam belohnt er sie mit einem Trank aus “heiligem Wasser”, getränkt mit seinen Tränen.

Alle drei Geschichten sind gewissermaßen Allegorien dafür, wie Menschen versuchen, ihre Liebe und Güte auszudrücken, während sie sich unklugerweise den Befehlen anderer unterwerfen, oft von verrückten, exzentrischen Anführern. Menschliche Güte wird hier ins Absurde geführt. “Ich zeige ja das wirkliche Leben, das so viele dunkle Momente, so viel Seltsamkeit und Peinlichkeit birgt”, kommentiert der Regisseur seinen Film. Tatsächlich zeichnet Lanthimos, der sich durch seine leblosen Parodien der menschlichen Gesellschaft einen Namen gemacht hat, eine Dystopie der Gegenwart, in der Menschen bereitwillig die Kontrolle über ihr Leben aufgeben, um minimalen Komfort zu erhalten, sich anderen blind unterordnen, sei es am Arbeitsplatz, in der Ehe oder im Glauben. Und in dieser Geschichte gibt es auch eine mysteriöse Figur namens R.M.F., die nur im Titel jedes Kapitels erwähnt wird, aber nie auf der Leinwand erscheint. Oder vielleicht nur einmal, wenn man bis zum Ende bleibt, um einen kurzen und unerwarteten Epilog zu sehen.

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Willem Dafoe, Emma Stone und Yorgos Lanthimos in Cannes, Photo: Cannes Film Festival

Der Träger der “Goldenen Palme”, Jacques Audiard, entführt das Cannes-Publikum in die Welt der mexikanischen Drogenkartelle. Der Drogenbaron Manitas del Monte möchte diese Welt verlassen, aber nicht, weil ihm oder seiner Familie Gefahr droht. Die Gefahr in Mexiko bedroht jeden Bewohner. Manitas möchte seine wahre Natur erfahren – er möchte eine Frau sein. Der Regisseur fand die Handlung seines Films in einem Roman von Boris Razon, änderte jedoch die Erzählung erheblich. “Emilia Perez” stellt sofort mehrere Stereotypen in Frage. Audiard drehte seinen Film auf Spanisch, einer Sprache, die er selbst nicht beherrscht. Die Hauptrolle spielt die Transgender-Schauspielerin Carla Sofia Gascon (als Drogenbaron Manitas und seine verwandelte Version Emilia) und Audiard integrierte auch Gascons persönliche Erfahrungen in sein Werk. Außerdem ist dieser Film ein Musical. Allerdings wird die Erwartung, dass die berühmte Selena Gomez (sie spielte Manitas’ Frau) singt, nicht erfüllt. Sie singt nur einmal und es ist unklar, warum alle außer der Sängerin singen dürfen.

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Selena Gomez in “Emilia Perez”, Foto: Cannes Film Festival

Der Film beginnt mit der Vorstellung der Anwältin Rita (Zoe Saldana), die für wenig Geld einigen Halunken zur Freiheit verhilft. Sie fühlt sich müde und unterbewertet, als sie das fragwürdige Angebot eines potenziellen Kunden erhält, ihm bei der Transformation zur Frau zu helfen. So findet sich Rita zunächst in Thailand und dann in Israel wieder, auf der Suche nach einem geeigneten Arzt für ihn. Dann inszeniert Manitas seinen Tod, um als glattrasierte und strahlende Emilia wiederzukehren. Emilia findet Rita erneut und bittet sie dieses Mal, seine Frau und Kinder zurückzubringen, denen sie sich als entfernte Tante vorstellt.

Eigentlich fängt die Handlung erst hier an. Denn als ehemaliger Manitas fühlt er plötzlich die Verantwortung für sein früheres Leben und versucht, mit dem schmutzig verdienten Geld Ungerechtigkeiten wieder gutzumachen. Wenn “Emilia Perez” kein Musical wäre, könnte der Film eine düstere, depressive Geschichte über die hoffnungslose Realität Mexikos sein. Genau das bewog Audiard dazu, den Film zu drehen: “Warum Mexiko? Warum auf Spanisch? Weil ich schockiert bin darüber, wie viele Menschen jedes Jahr in diesem Land spurlos verschwinden. Mich schockiert das völlige Fehlen von Demokratie und die Gefahr für das menschliche Leben der dort lebenden Menschen”, erklärte der Regisseur den Journalisten. Deshalb beschloss er, ein Musical zu drehen, in dem die Schauspieler vor dem Hintergrund von Morden, Gesetzlosigkeit und Tragödie singen und tanzen. 

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Premiere von “Emilia Perez”, Foto: Cannes Film Festival

Dieser Film verdient zweifellos einen Festivalpreis, allein schon für seine Kühnheit. Und vielleicht wird er ihn an diesem Wochenende erhalten.

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