An einem Ort am Rande von New York versucht Eva (Tilda Swinton) Angriffen der Einwohner aus dem Weg zu gehen. Einmal wird ihr Haus und Auto mit Farben verschmiert, ein anderes Mal schlägt eine fremde Frau sie ins Gesicht. Nach ihrer brillanten Karriere als Schriftstellerin muss Eva sich nun ihren Lebensunterhalt in einem zweitklassigen Reisebüro verdienen. Ihr Ex-Mann (John C. Reilly) hat sie mit der gemeinsamen Tochter verlassen, um ein „normales“ Leben zu führen. Rückblenden offenbaren nun die wahre Geschichte. Diese fängt mit der Zeugung ihres Sohnes Kevin an.
Vielleicht erinnert diese gleichnamige Verfilmung von Lionel Schrivers Roman nicht gleich an den Horror von Roman Polanskis “Rosemaries Baby” aus dem Jahr 1968. Schließlich wird Eva nicht wie Rosemarie von einem Satan vergewaltigt. Sie bekommt ihren Sohn von einem recht adäquaten Partner namens Franklin, auch wenn er sich als etwas zu „einfach“ für die feine Schriftstellerin entpuppt. Es mangelt ihm jedoch nicht an Humor und Gutmütigkeit. Trotzdem entwickelt sich der gemeinsame Sohn Kevin – ohne ein Zeichen menschlicher Liebe und Zuneigung – zu einem zweiten Damian alias Omen, Protagonisten eines anderen Horrorklassikers. Als Baby terrorisiert Kevin gerne seine Mutter mit Geschrei, im Kindesalter verletzt er seine Schwester, als Teenager masturbiert er vor der Mutter und verübt schließlich vor seinem sechzehnten Geburtstag einen Amoklauf an seiner High-School, wofür die Mutter von den Einwohnern fast gekreuzigt wird.
Der Film will jedoch nicht die Protagonistin nach dem üblichen Klischees wie „gute oder schlechte Mutter“ verurteilen. Es gibt auch keinen Hinweis darauf, dass Mütter, die feindselig auf ihre eigenen Kinder reagieren automatisch Monster erziehen. Es handelt sich um brillant inszenierte Hommage an eine Frau, die ihrer familiären Verantwortung mit ungewöhnlichen Gefühlen entgegentritt und trotz aller ehrlichen Bemühungen nicht die gewünschten Ergebnisse erzielt.
In der Art und Weise, mit der sich Eva mit ihrer Situation abfindet, verfolgt man eine subtile Einstellung, die weniger auf eine Lösung abzielt, sondern ein komplexes Thema zur Diskussion stellt und uns gleichzeitig im alltäglichen Dasein mit ungewöhnlichen Themen konfrontiert. Die Independent-Regisseurin Lynne Ramsay gestaltete eine meisterhafte Inszenierung, in der die Farbe Rot zum visuellen Leitmotiv und Bindeglied der Szenen wird und wo die Oscar-Preisträgerin Swinton eine großartige dramatische Leistung liefert.
Im Kino: 16.08.2012
We need to talk about Kevin (USA/Großbritannien, 110 Min., Drama, 2011)
Regie: Lynne Ramsay Mit: Tilda Swinton, John C.Reilly, Ezra Mille