Sextourismus ist eine Aktivität, die bis jetzt eher dem „starken“ Geschlecht überlassen wurde, auch auf der großen Leinwand („This is Love“, „Hangover 2“). Nun kommen auch die Frauen auf ihre Kosten. Im Drama „Paradies: Liebe“ vom skandalumworbenen Österreicher Ulrich Seidl dürfen Frauen ihre sexuelle Emanzipation ausleben. Sie bereisen den schwarzen Kontinent auf Suche nach Liebe oder dem, was man darunter verstehen mag. Die Liebe scheint sich jedoch in unserer Konsumgesellschaft auf Sex zu beschränken. Sie wird zum Machtspiel und Kampf, bei manchen um ihre Existenz, bei anderen um das Vergnügen.

Der Film von Seidl ist Auftakt seiner geplanten Trilogie, deren nächste Folge „Paradies: Glaube“ bereits gedreht wurde. Dabei handelt es sich um ein sehr authentisches Werk: Die Arbeit findet vor Ort und ohne Drehbücher und mit einer bunten Mischung aus Profischauspielern und Laien statt.

Zu Hause in Österreich fristet Theresa (mutig – Margarethe Tiesel) das düstere Dasein einer 50-jährigen allein erziehenden Mutter: langweiliger Job, null Sexualleben sowie eine verwöhnte und unselbständige Tochter im Teenageralter sind ihr Alltag. Zu ihrem Geburtstag will sich Theresa etwas gönnen. Sie fährt nach Kenia, in das Land des blauen Himmels, der weißen Strände und der Männer, die sich den weißen Touristinnen zahlreich zur Verfügung stellen. Die sogenannten Beach Boys treiben es mit weißen Ladys – in ihrer Umgangssprache „Sugarmamas“ genannt – nicht aus Liebe, wie der Titel des Filmes ironisch verrät, sondern um ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Theresa, die anfangs verzweifelt nach der Liebe sucht und deshalb den Tricks der einheimischen Männer leicht verfällt, endet schließlich doch noch als Sextouristin.

Wen kümmert es schon, ob die gesuchte Liebe vorgetäuscht oder gekauft ist, der Körper kommt auf ja den Markt und Erweckt die Illusion, jung und begehrenswert zu sein, auch wenn der Preis dafür ist, die ganze afrikanische Familie des Liebhabers zu versorgen.

Während der Premiere von „Paradies: Liebe“ auf dem Filmfestival in Venedig wurde der Film kontrovers diskutiert. Nicht zuletzt für die zahlreichen Nacktszenen, die für Schauspieler große Herausforderung sein mussten, vor allem für die afrikanischen Laien, wie Interviews mit der Crew offenbaren. Allerdings fiel es den Afrikanern wiederrum leichter, ohne Drehbuch zu arbeiten als den europäischen „Kollegen“. Die Abwesenheit des Drehbuchs bringt dem Werk von Seidl eine gewisse sporadische Authentizität, die den Film wie eine Dokumentation erscheinen lässt.

Die bunten Farben – aufgehellt durch südliche Sonne und weißen Sand – verleihen den Szenen vorgetäuschte Festlichkeit, die durch ausführliche Szenen und langsamen Schnitt die Präsentation etwas langatmig machen. Wer sich aber die Zeit nimmt, sich in die Inhalte des Seidl’schen „Paradise“ hineinzudenken, wird die beißende „nackte“ Wahrheit des europäischen Sextourismus in der Präsentation des Österreichers nie vergessen.

Im Kino: 3. Januar 2013
PARADIES: Liebe – Österreich, Deutschland, Frankreich 2012
Regie: Ulrich Seidl
Mit: Margarete Tiesel, Peter Kazungu, Inge Maux
Länge: 120 Min.

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