Die Schauspielerin Alba Rohrwacher wird beim 39. Filmfest München mit dem CineMerit Award – für ihre Verdienste um die Filmkunst – ausgezeichnet.

Dieser Preis wurde bereits an Legenden wie Antonio Banderas, Isabelle Huppert, Ralph Fiennes und Emma Thompson verliehen. Vielleicht gehört die Italienerin nicht zur Riege dieser Hollywood-Promis, dafür ist sie stark mit dem europäischen Arthouse-Kino verbunden und genießt bei dessen Machern hohes Ansehen.

Alba Rohrwacher sieht anders aus. Nicht wie die berühmten italienischen Diven Gina Lollobrigida oder Sophia Loren. In ihrer Unauffälligkeit steckt etwas von der zarten Malerei der Präraffaeliten oder von den Madonnen von Sandro Botticelli. Übrigens gehören die Rollen von Madonnen und Heiligen ebenfalls zu ihrem schauspielerischen Repertoire. Sie wurde von Luca Guadagnino entdeckt. 2005 drehte er mit ihr seinen Film „Melissa P“. Vier Jahre später lud er sie ein in seine Produktion „I Am Love“ ein, wo die Italienerin die Tochter der Protagonistin Tilda Swinton spielte. Man nennt sie oft ‘Drama Queen’, weil sie dramatische Figuren in komplexen Beziehungen darstellt und sich mit Themen wie „Ehe“, „Abschied“, „Liebe und Verrat“ und sogar „lebenslanges Leiden“ auseinandersetzt.

Immer wieder ist Rohrwacher zu Gast beim Filmfest München. Viele ihrer Werke liefen beim Festival als deutsche Premiere. Im jüngsten Werk „Das Pfauenparadies“ der römischen Regisseurin Laura Bispuri spielt Rohrwacher eine etwas seltsame Ehefrau sowie Mutter einer Tochter, die einen freiheitssuchenden Pfau als Haustier hat. Wir sprachen mit der Schauspielerin in einem exklusiven Interview.

“Das Pfauenparadies” Ⓒ Vivo film / Match Factory Productions

Beziehungen scheinen Ihren Heldinnen kein Glück zu bringen. Warum verlieben wir uns immer wieder, wollen zusammenbleiben und Familien gründen?

Offensichtlich können Menschen die Fähigkeit, sich zu verlieben, nicht verlieren. Mit zunehmendem Alter verwandeln sich diese Gefühle hin zu Freundschaft, Sympathie und Gewohnheit, aber alles beginnt mit Anziehungskraft. Die meisten Paare neigen dazu, in Beziehungen zu leben, die von gegenseitiger Abhängigkeit gekennzeichnet sind. Sie wollen sich als Teil des Spiels sehen, auch wenn dieses Spiel zu ungesunder emotionaler Intimität führt. Menschen bleiben aus verschiedenen Gründen zusammen, manche aus Scham und Schwäche, manche aus Verantwortungsbewusstsein oder um lächerliche Versprechen zu halten. Da wir soziale Wesen sind, brauchen wir Kommunikation genauso wie Nahrung und Schlaf.

“Das Pfauenparadies” Ⓒ Vivo film / Match Factory Productions

Wie beurteilen Sie die familiären Beziehungen in Ihrem neuesten Film?

Bei diesem Film passiert alles an einem Tag. In den Beziehungen stecken viele Geheimnisse. Dies wirft eine Art kaleidoskopischen Blick auf sie alle und wird zur Ursache von Missverständnissen, Unzufriedenheit und Enttäuschung. Ich denke, dass Familien immer viel Energie erzeugen, egal ob positiv oder negativ. Zu lieben und von jemandem geliebt zu werden, ist eines der wichtigen Themen dieses Filmes. Aber es geht auch um Tod und Verlust, zum Beispiel da, wo der Pfau sich selbst opfert, um die Beziehungen zu anderen zu verstehen. Wenn ich für die große Leinwand spiele, erinnere ich mich oft an meine eigene Familie. Egal wie unterschiedlich ich mich zu diesem oder jenem Zeitpunkt fühle, ich weiß immer, dass es meiner Familie zu verdanken ist, dass ich heute hier bin und weitermachen kann.

Wie waren Ihre Eltern?

Alles, was Sie über meine Kindheit und meine Familie wissen müssen, wurde hunderte Male in der Presse diskutiert. Meine Schwester Alice hat einen ganzen Film darüber gedreht.

Richtig, 2014 führte sie Regie bei „Miracles“. Aber wie wahrheitsgetreu spiegelt der Film Ihr Leben wider?

Fast alles darin ist autobiografisch. In den 1970er-Jahren zog mein Vater, ein junger Musiker aus Hamburg, nach Italien, heiratete eine italienische Lehrerin und beide siedelten sich in der Toskana an. Als Alice und ich geboren wurden, zogen meine Eltern nach Umbrien und mein Vater wurde Imker. Jeden Tag aßen wir Honig, fügten ihn sogar statt Zucker dem Kaffee hinzu. Vater und Mutter liebten die Natur. Die Fenster in unserem Haus waren immer weit geöffnet, und wir konnten die malerischen Täler sehen. In unserem Haus gab es keinen Fernseher. Alle gingen um neun Uhr ins Bett. Um einen Film zu sehen, musste ich in eine nahe gelegene Stadt laufen. Dort habe ich zum ersten Mal Bertoluccis Filme gesehen und Schauspielerinnen wie Anna Magnani und Monica Vitti lieben gelernt.

“Das Pfauenparadies” Ⓒ Vivo film / Match Factory Productions

Warum spielen Sie oft sehr seltsame Heldinnen?

Ich wähle sie bewusst aus, weil mich solche Leute am meisten interessieren. Sie haben etwas Ungewöhnliches, Unvorhersehbares, Unerwartetes, das ist das beste Material für die Arbeit eines Schauspielers. Zum Beispiel, meine Adeline in „Das Pfauenparadies“. Sie ist zerbrechlich und schüchtern. Sie will akzeptiert werden, aber sie tut und sagt immer das falsche. Niemand versteht sie oder kümmert sich um sie. Sie hat eine sehr originelle Stimme, so quietschend und unsicher. Ich habe diese Stimme selbst geschaffen, aber es war nicht einfach für mich. Vielleicht ist ihre Fremdheit auch dadurch entstanden, dass sie ständig Medikamente nimmt.

Wieviel von Ihnen steckt in der Rolle?

Ich spiele mich nie in Filmen. Meine Heldinnen sind immer jemand anders, ganz weit von meiner eigentlichen Persönlichkeit entfernt. Ich sehe es als meine schauspielerische Aufgabe an, solches Material zu finden, das schwer zu spielen ist. Ich fühle mich von Geschichten angezogen, die die Türen meiner Erinnerung öffnen, deren Aufnahme zu einem unvergesslichen persönlichen Erlebnis wird.

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