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Krisenzeiten sind uns allen vertraut: Katastrophen, Kriege, wirtschaftliche Krisen – Momente, in denen Menschen ihre Arbeit verlieren und mit ihr auch die Hoffnung auf ein würdiges Leben. Genau davon erzählen zwei Filme im Wettbewerb von Venedig. Der eine fragt nach den Schuldigen, der andere zeigt, wie man mit den Folgen umgeht. 

Auffällig ist, beide spiegeln sich auf eigentümliche Weise: Yorgos Lanthimos inszenierte Bugonia als Remake des koreanischen Films Save the Green Planet! (2003) von Jang Joon-hwan. Park Chan-wook wiederum adaptierte den Roman The Ax des Amerikaners Donald E. Westlake und gab seiner Fassung den bezeichnenden Titel No Other Choice („Es gibt keinen anderen Ausweg“).

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Emma Stone bei der Premiere von “Bugonia”, Foto: La Biennale di Venezia

Wer ist schuld?

Die Außerirdischen natürlich. In Bugonia verkörpert Emma Stone zum fünften Mal die Muse von Lanthimos – diesmal als Michelle Fuller, Chefin des Pharmakonzerns Auxolith Corp. Aus ihrem Bürohochhaus aus Stahl und Glas verkündet sie Tag für Tag schöne Worte wie „Transparenz“ und „Offenheit“. Jeder im Saal ahnt sofort: Was die Direktorin sagt, meint stets das Gegenteil.

So durften die Angestellten „offiziell“ neuerdings schon um 17:30 Uhr nach Hause. Fuller lächelt und fügt hinzu: „Es liegt an Ihnen, ob Sie wirklich gehen möchten, bevor Sie Ihre Arbeit beendet haben.“ Eine Form von Wahlfreiheit, die man besser nicht in Anspruch nimmt, wenn man den Job behalten will.

Die offizielle Inhaltsangabe bringt es auf den Punkt: Zwei von der Welt betrogene junge Leute glauben, Fuller sei in Wahrheit ein Alien, das die Erde vernichten wolle. Also lauern sie ihr zu Hause auf, entführen sie, scheren ihr den Kopf und beginnen ein groteskes Verhör. Was als Aufstand gegen das Böse beginnt, wächst sich bald zur absurden, tragikomischen Farce aus. Der Titel Bugonia verweist auf ein antikes Ritual der „Selbsterschaffung“ – und unterstreicht die halsstarrige, aber auch hilflos-komische Energie der Figuren.

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Emma Stone und Yorgos Lanthimos, Pressekonferenz, Foto: La Biennale di Venezia

„Menschen leben heute in Blasen, die durch Technologie immer größer werden“, erklärt Lanthimos. „Mich interessiert, wie sehr diese Blasen unsere Wahrnehmung anderer verzerren.“ Emma Stone bekannte auf der Pressekonferenz, dass sie tatsächlich an außerirdisches Leben glaube – alles andere sei narzisstisch. Und ob sie selbst vielleicht längst eine Außerirdische sei? „Niemand kann das wissen“, meinte sie trocken. Menschen, die uns vertraut erscheinen, entpuppen sich oft als völlig fremd – ganz ohne kosmische Hilfe.

Was tun?

Und was tun, wenn man hört: „Sie sind entlassen“? Die praktischen Hinweise liefert Park Chan-uks No Other Choice. Man kann sich an die Schläfen tippen und mantraartig wiederholen: „Ich schaffe das, ich beginne ein neues Leben.“ Man kann überstürzt das Tennisspielen aufgeben und die geliebten Hunde den Schwiegereltern aufhalsen, weil sie zu viel fressen. Oder man entwickelt eine regelrechte Obsession fürs Spionieren: Social-Media-Stalking und Hausüberwachung.

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No Other Choice, Film Still, Foto: La Biennale di Venezia

Genau so ergeht es Man-su (Lee Byung-hun, international berüchtigt aus Squid Game). Jahrzehntelang hat er gewissenhaft in einer Papierfabrik gearbeitet, bis er eines Tages seinen Job verliert. Zum Glück ist da seine Frau, die kluge, trockene Beobachterin. Sie wirft fast im Vorübergehen die Frage in den Raum, ob der Blitz nicht auch einmal die Erfolgreichen treffen könnte. Ein beiläufiger Satz – für Man-su jedoch der entscheidende Anstoß. Von nun an will er nicht länger auf himmlische Fügung warten. Bleibt der Blitz aus, sorgt er eben selbst für den Einschlag. Und er beweist dabei eine Einfalls- und Tatkraft, die in einem Bewerbungsgespräch Eindruck gemacht hätte – nur leider im falschen Berufsfeld.

Das Ensemble liest sich wie ein K-Drama-Traum: Son Ye-jin, Lee Sun-min, Park Hae-soo, Yoo Yeon-seok – ein Who’s who der koreanischen Leinwand. Kein Wunder, dass Park Chan-wook zwanzig Jahre lang für dieses Projekt Geld zusammenkratzte. Kein Wunder, dass Park Chan-uk zwanzig Jahre lang auf die Realisierung hinarbeitete. Auf die Frage, was er selbst täte, sollte er eines Tages ohne Arbeit dastehen, erklärte er, er glaube nicht an eine Krise des Kinos. Doch wenn sie komme, werde er eben mit dem Handy drehen. Es klang nicht wie ein Scherz, sondern wie ein Versprechen.

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Park Chan-wook und seine Crew bei der Pressekonferenz in Venedig
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