Viele intime Geschichten über Familien, Beziehungen, Bündnisse wurden auf dem 37. Filmfest München gezeigt. Sie spiegeln die gesellschaftlichen und politischen Verhältnisse ihrer Ursprungsländer und zeigen Filmkunst aus aller Welt.

Wer hat das bessere Los?

Filme aus Russland, die ausländische Zuschauer erreichen, ähneln einander seltsamerweise. In diesen Filmen leben Menschen erbärmlich in zusammengeschusterten Hütten, die Männer sind in der Regel Bauern – rau, mürrisch und oft betrunken. So auch der Förster Egor aus „The Man who surprised everyone“ von Natasha Merkulova und Aleksey Chupov, der in einem sibirischen Dorf mit seiner Familie, bestehend aus seiner schwangeren Frau, seinem Sohn und dem Schwiegervater wohnt.

Die internationalen Medien schreiben, in dem Film ginge es um die Suche nach „sexueller Identität“ und er sei eine Arbeit über die Diskriminierung Homosexueller in Russland. Der letzte Punkt sorgte sicher für eine Finanzierung aus dem Westen sowie für die Einladungen zur Teilnahme an internationalen Filmfestivals, gerade denen, die sich etwas politischer präsentieren wollen. 

The Man who surprised everyone © Filmfest München 2019

Zurück zum Film, Egor erfährt, dass er Krebs im Endstadium und noch zwei Monate zu leben hat. Er beschließt, so weit es geht seine Familie zu versorgen. Die Dorfbewohner spenden Geld für seine Behandlung. Seine verzweifelte Frau überredet ihn, eine Heilerin aufzusuchen. Hier kommt der Wendepunkt in der Handlung: Die Heilerin erzählt eine Fabel von einem Erpel, der den Tod betrügt, indem er sich als Ente verkleidet. Wenige Tage danach unternimmt Egor den Versuch, sein Geschlecht zu wechseln. Er trägt Kleider, Schuhe mit Absätzen und Makeup, aber eigentlich nicht, um seine bis dahin versteckte „wahre Sexualität“ auszuleben, sondern tatsächlich um dem Tod von der Schippe zu springen. Dafür wird er natürlich von den Dorfbewohnern, insbesondere von den männlichen bestraft, geschlagen, vergewaltigt. Die westlichen Zuschauer sind geschockt. Sie können sich ja nicht vorstellen, dass der Aberglaube solche Ausmaße annehmen kann, dass sich ein Mann in eine Frau „verwandelt“, bloß, um dem Tod durch die Krankheit zu entgehen. Stellen wir uns einmal vor, dass an seiner Stelle jemand anderes steht, z.B. eine Person, die aufgrund ihrer Herkunft, ihres Aussehens oder ihrer Vorstellungen ganz anders ist als die Gesellschaft. Wahrscheinlich hätte ihn das gleiche Schicksal erwartet. Wie schnell  Menschen unter bestimmten Umständen andere Menschen verletzen können und dass sie wirklich gewalttätig werden, sofern man ihnen eine Möglichkeit bietet, zeigt auch die berühmte Installation „Rhythm 0“ (1974) von Marina Abramovic. Ob hier eine Frau oder ein Homosexueller betroffen werden liegt im Ermessen des Künstlers.    

Ein „ehrlicher Mann“, von Filmdiven geliebt und geküsst 

Louis Garrel kommt nach München um den neu gestifteten Margot-Hielscher-Preis zu erhalten.

Louis Garrel © Filmfest München 2019 / Kurt Krieger

Die Moderatoren des Filmfestes München sowie die Medien schwärmen vom Franzosen, er sähe nicht nur gut aus, sondern wurde auch von etlichen Filmdiven wie Eva Green, Lea Seydoux, Monica Bellucci, Stacy Martin und natürlich seiner jetzigen Frau Laetitia Casta geküsst. Einen Film bringt er aber auch mit, seine Regie-Arbeit „L’Homme fidèle“, der schon vor ein paar Jahren gedreht und in fast allen Ländern außer Deutschland gestartet ist. In der Ménage-à-trois ist er auch als Hauptdarsteller damit beschäftigt, von einer Frau zur anderen zu wechseln. Er tut das natürlich mit dem besonderen Charme eines Franzosen. Und auch die Damen sind auf französische Art und Weise charmant. Seine ursprüngliche und etwas ältere Freundin, wie eben Garrel es auf der Leinwand und auch im privaten Leben gerne mag, verlässt ihren Freund, weil sie von einem anderen Mann schwanger wurde. Danach will sie ihren Freund zurück. Der Mann, den Garrel eben spielt, schwankt wie Schilf im Wind und zieht mit seinem kargen Gepäck von einer Wohnung zur anderen. Der Film ist harmlos unterhaltsam und dauert zum Glück nur 75 Minuten, was für die großen Fähigkeiten von Garrel Junior als Regisseur spricht.

L’Homme Fidèle © Filmfest München 2019

Sein Vater – der legendäre Regisseur Philippe Garrel – hat ihm das Können höchstwahrscheinlich beigebracht. Seine Filme zeichnen sich auch durch klare Logik und notwendiges Drama aus. Und nichts mehr. Zu einer Zeit, in der die Menschheit vor allem mit der Umwelt- und Finanzkrise beschäftigt ist und amerikanische Polit-Thriller immer noch  versuchen herauszufinden, warum und wer die Truppen in den Irak schickte, beschäftigen sich die Franzosen mit rendez-vous. Es wäre gut noch herauszufinden, wer die Kinder dieser Liebespaare großzieht. Kein Wunder, dass diese, sobald sie erwachsen sind, ebenfalls unruhig durch die Welt ziehen.

Der Pianist ist nackt!

Von einem Film, der den Titel „Prélude“ trägt und in Deutschland gedreht wurde, erwartet man vielleicht verschwitzte Gesichter der Konservatoriums-Studenten, die sich mit stundenlangen Proben quälen, strenge und faire Professoren, eine Menge brillanter Musik und natürlich eine musikalische Apotheose zum Schluss. Schuld daran sind diese ewigen Erwartungen! Oder auch die Filmemacher anderer Filme über Klavierspieler, etwa „Der Pianist“ oder „Green Book“, die es präziser auf den Punkt gebracht haben.

Prélude © Filmfest München 2019

Leider gibt es im aktuellen Film nicht viel Musik. Dafür aber viel unverhüllte Nacktheit, anhaltenden Sex und gegenseitigen Hass. Es überrascht nicht, dass sich bei solchem Lebensstil nicht nur Erwachsene, sondern auch zarte Teenager eine Schraube locker haben und dass man ein begehrtes Stipendium nach New York zum Schluss doch nicht mehr will.

Eigentlich kann man den Film von Sabina Sarabi als eine Art gesellschaftliche Kritik lesen, eine Kritik darüber, dass man an manchen Orten dieser Welt, ein Leben unter großem Druck und täglicher Kontrolle lebt, sei es von der Gesellschaft, der Institutionen oder Mitbewohner. Kaum lohnt es sich, die Frage zu stellen, warum Menschen es so lieben, das Leben anderer Menschen zu komplizieren. Zu diesem Thema wäre wohl eine Dissertation im Fach Psychologe fällig. Eine kurze Frage möchte man doch noch stellen: “Verehrte Frau Sarabi, warum kann Ihre Gesangstudentin überhaupt nicht singen?”

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