Der Begriff „Tempelessen“ bezeichnet die Mahlzeiten, die in buddhistischen Tempeln jeden Tag zu sich genommen werden und als Teil der religiösen Praxis gelten. Im Buddhismus geht es nicht nur um Meditation und Gebet. Das tägliche Leben und all seine Facetten gehören zur Praxis, ob das der Anbau von Gemüse ist, die Zubereitung von Gerichten, die Reinigung der Räume oder das Spülen des Geschirrs. Die Nahrungsaufnahmen erfolgen nur, um die Schwächung des Körpers zu heilen, dabei nimmt man genau die Menge zu sich, die für die körperliche Versorgung benötigt wird, es sollen keine Reste zurückbleiben.

Die Tempelnahrung ist biologisch rein, gesund und vegetarisch. Sie enthält keine chemischen Zusätze. Gemüse wird auf natürliche Weise in einer sauberen Umgebung angebaut. Man isst saisonal und die Gerichte sind so kombiniert, dass sie uns an den Kreislauf des Lebens erinnern und auch daran, dass wir Menschen wie auch die Lebensmittel aus der Natur kommen und zu ihr zurückkehren werden.

Naksansa, Gangwon-do © tr

Manche Köche meinen, das Verbot von Fleisch und der fünf Kräuter (wie Knoblauch oder Zwiebel) sei ein großes Hindernis für die Zubereitung mancher traditionellen koreanischen Gerichte, die reich an tierischem Protein und Gewürzen sind. Die Buddhisten begegnen dieser Herausforderung, indem sie eine Vielzahl natürlicher Gewürze verwenden. Für Kimchi wird beispielsweise statt Fischsoße Seetang verwendet, Ingwer ersetzt Knoblauch. Jeder Tempel hat eigene Rezepte, die durch mündliche Überlieferungen von Lehrer zu Schüler weitergegeben wurden und dabei viele unterschiedliche Küchenstile prägen.

Menü „Maeum“: Vorspeise © tr

Viele Menschen aus dem Westen haben durch die berühmte Netflix-Serie „Chef’s Table“ einen Einblick in die koreanische Tempelküche erhalten, wo in der dritten Episode die Kochkünste der buddhistischen Nonne Jeong Kwan aus dem Baekyangsa-Tempel vorgestellt wurden. Heute ist sie berühmt. Zum ersten Mal trat sie wohl ins Rampenlicht, als sie in das berühmte Restaurant Le Bernardin in New York zum Kochen eingeladen wurde. Viele Liebhaber dieser Serie wollten sofort einen Tempelaufenthalt in Baekyangsa zu buchen. Dafür muss man allerdings einige hunderte Kilometer von Seoul fahren. Nicht alle haben Zeit für so weite Reisen. Eine andere Möglichkeit wäre, die Tempelküche im „Balwoo Gongyang“, einem mit einem Michelin-Stern ausgezeichneten Restaurant mitten in Seoul gegenüber vom Jogyesa-Tempel zu genießen.

Menü „Maeum“: Koreanischer Gang © tr

Der Name „Balwoo Gongyang“ stellt die Verbindung mit der Baru-Mahlzeit (oder Barugongyang – formelle Klostermahlzeit) her und ist nach den Holzschalen (Baru) benannt, die zum Servieren von Speisen verwendet wird. Wenn man das Restaurant „Balwoo Gongyang“ betritt, das sich im fünften Stock eines Gebäudes in der Nähe von Insa-dong, Seoul befindet, taucht man sofort in die “Zen”- Atmosphäre ein. Die Einrichtung ist sehr einfach und wirkt fast religiös. Es gibt keine Dekoration an den Wänden, nur Schriftrollen mit Zeilen wie „Woher kommt dieses Essen? Ich schäme mich, es zu essen. Ich werde es als Medizin betrachten, um die Gier in meinem Kopf zu bändigen, mein physisches Wesen zu bewahren, um Erleuchtung zu erlangen“.

Zur Auswahl stehen drei Degustationsmenüs: „Won“ (Gelöbnis), „Maeum“ (Geist) und „Hee“ (Freude). Mittags kann man eine preiswerte Version (für etwa 27 EUR) namens „Seon“ (Meditation) buchen und für Neugierige gibt es noch „Beop“, die teuerste (mit 145 EUR pro Person) Variation, die von einer Kochdemonstration und Erklärungen des Küchenchefs begleitet wird. Alkohol wird nicht serviert, es ist jedoch nicht verboten, eine oder zwei Flaschen Wein mitzubringen. Dafür wird Korkengeld erhoben.

Menü „Maeum“: Nachspeise © tr

Das beliebteste Menü „Maeum“ besteht aus sieben Gängen, die je nach Saison verschiedene Sorten von Gemüse und Saucen umfassen. Der erste Gang – Suljuksim besteht aus Gurkengelee serviert mit würzigem Maulbeer-Extrakt, Sommergemüsen und Tofu. Juk (Brei) mit Gemüse gilt als wichtiger Gang im Tempel, der zum Frühstück gereicht wird. Er soll den Hunger und Durst stillen sowie bei Verdauungsproblemen helfen. Zum Brei werden im Restaurant Gemüse wie eingelegter Rettich angeboten. Sangmi (Salate und kalte Vorspeisen) regen den Appetit an und bestehen im Sommer aus gegrillten Auberginen in würziger Sauce, gedämpftem Gemüse in Wassermelonensaft und aus Tofu mit Gemüse in Sojasauce. Nach den kalten Vorspeisen kommen warme Variationen wie frittierte Pilze mit würzigem Chili, gewürzte Gurken, Kohlrouladen mit Kartoffeln, koreanische Melone sowie Algensuppe und verschiedene Arten von Pfannkuchen auf den Tisch.  Zum wichtigsten Teil des Menüs gehören Nudeln (Seongso), die im Kloster an besonderen Tagen gekocht werden, deshalb sagt man, dass die Nudeln Mönche zum Lächeln bringen. In „Balwoo Gongyang“ isst man Buchweizennudeln mit gegrilltem Tofu, Shiitake-Pilzen sowie Knödel. Das Hauptgericht (Youmi) besteht aus Klebreis, der in ein Lotusblatt gewickelt wurde, einem Bohneneintopf, mindestens zwei Arten von Kimchi sowie würzigen Beilagen aus grünem Gemüse. Der Geschmack von Youmi soll körperliche Müdigkeit und mentalen Stress lindern und helfen, sich von möglichen Krankheiten zu erholen. Schließlich bietet die Nachspeise (Ipgasim) Zutaten, die den Mund reinigen und die Verdauung fördern sollen. Beispielsweise Gerstensprossen mit Püree aus Yamswurzel und Birne sowie süße Gelees.

Steingarten im Bulguksa-Tempel, Gyeongju © tr

Die Menüs wechseln alle drei Monate. Die meisten Zutaten kommen aus verschiedenen Tempeln im ganzen Land. Zum Beispiel wird Tofu täglich mit dem Hochgeschwindigkeitszug vom Tongdosa-Tempel aus der Provinz Gyeongsangnamdo geliefert und selbst die Nonne Jeong Kwan schickt aus dem Baekyangsa-Tempel ihre Jangajji nach Seoul. Der Sojasauce-Tee (Ganjang-Cha) ist mit einer 20 Jahre alten Sojasauce zubereitet, die von der Nonne Seon Jae gemacht wurde.

Was den besonderen Geschmack der koreanischen Tempelküche schließlich ausmacht ist nicht, was man isst, sondern die Zubereitung des Essens: Mit Achtsamkeit, offener Seele und reinem Herzen.

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