In ihrem jüngsten Film “Ginger & Rosa” beschäftigt sich die Britin mit einem sensiblen Jugenddrama aus der Prä-Beatles-Ära. Der Film beginnt mit der symbolischen Darstellung eines prächtigen Pilzes, der durch Einfluss einer Atombombe in den Himmel wächst. Zeitgleich mit diesem Ereignis gebären zwei verschiedene Frauen Töchter, deren Begegnung später unvermeidbar sein wird und deren Schicksal sie unzertrennlich verbindet.

Eigentlich ist Sally Potter (Jahrgang 1946) als Sängerin der “Feminist Improvising Group” bekannt. Doch seit langem begeistert sie die Arthaus-Liebhaber mit ihren unabhängigen Produktionen und spätestens seit ihrer Verfilmung von Virginia Woolf Roman „Orlando“ im Jahre 1992 ist sie auch einem breiten Publikum bekannt geworden.

Obwohl Ginger (Elle Fanning) und Rosa (Alice Englert) zur gleichen Zeit zur Welt kommen, könnten sie nicht unterschiedlicher sein. Ginger beschäftigt sich mit der Welt und ihrer Rettung. Rosa trägt einen anderen Traum in sich – sie sucht nach ewiger Liebe. Auch ihre sozialen Verhältnisse sind verschieden: Während Rosa bei einer alleinerziehenden Mutter in einer Sozialsiedlung wohnt und die Schule vorzeitig verlassen muss, hat Ginger eine fürsorgliche – wenn auch ein wenig depressive – Mutter und kann stolz auf ihren Vater, einen Freigeist, sein, der während des Zweiten Weltkriegs als Wehrdienstverweigerer im Gefängnis saß.

In diesem frühen Stadium ihrer Freundschaft sind ihnen die Unterschiede noch nicht deutlich. Sie schwören sich ewige Freundschaft: Also rauchen und sitzen in einer Badewanne, lesen Teenager-Magazine und machen ihre ersten Erfahrungen mit Jungs.

Zum ersten Riss ihrer Freundschaft kommt es, als Roland, der Vater von Ginger, die Mädchen auf sein Segelboot einlädt. Irgendwann im Laufe dieses Tages muss Ginger anhören, wie hinter einer dünnen Wand er mit ihrer besten Freundin schläft. Ab jetzt fühlt sie sich von den wichtigsten Menschen ihres Lebens verlassen und leidet, bis es zu einer heftigen Eskalation kommt.

Doch irgendwie zeigt sich dieses 17-Jahre alte Mädchen weise. Durch ihren Entschluss, das Leben bedingungslos zu lieben, findet sie einen Weg, zu verstehen und zu vergeben und wächst weit über ihre Mitmenschen, inklusive ihre eigenen Eltern, hinaus.

Obwohl die Schauspielerin Elle Fanning (als Ginger) gerade 15 geworden ist, spielt sie souverän und atemberaubend eine 17-jährige Protagonistin. Dabei übertrifft sie ihre prominente Kollegin Alice Englert (als Rosa), die Tochter der Filmemacherin Jane Campion.

Fanning alias Ginger zeigt uns, dass die Reife eines Menschen sowie Weisheit und Wille nicht automatisch erwachsene Eigenschaften sind. Denn bei Potter sind es gerade die Erwachsenen, die versagen: Die Mutter von Ginger gibt ihre Malerei wegen ihrer frühen Schwangerschaft auf, rutscht in die Armut und trauert ihrem Mann trotz dessen ständiger Untreue nach.

Rosas Mutter schlägt sich als Putzfrau durch. Und letztlich zeigt sich Gingers Vater, nach außen ein Linker und politischer Freidenker, nicht in der Lage, in seinem banalen Alltag die Verantwortung für sich und seine Familie zu übernehmen. Mit der Geschichte zweier Freundinnen mag Potter ihre eigenen Jugenderfahrungen verarbeitet zu haben, gibt uns auf jeden Fall einen gelungen Einblick in die 1960er-Jahre in London, in die alltäglichen Sorgen damaliger Familien und vor allem in das faszinierende Erwachsenwerden einer außerordentlichen Person.

Ginger & Rosa

Im Kino: 11. April 2013
Großbritannien/Dänemark 2012
Regie: Sally Potter
Mit: Elle Fanning, Alice Englert, Christina Hendricks, Annette Benning, Timothy Spall
Länge: 90 Min.

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