Seine Menüs stehen für ein schönes Gleichgewicht zwischen Innovationen mit Texturen, Aromen, Temperaturen und dem Respekt vor der traditionellen indischen Küche. Vineet Bhatia ist der erste indische Küchenchef mit einem Michelin-Stern. Diesen Erfolg errang er in Großbritannien, bevor er nach Indien zurückkehrte, um dort sein Restaurant „Ziya“ im Hotel Oberoi in Nariman Point in Mumbai zu eröffnen. In einem exklusiven Interview beantwortete er unsere Fragen.

Was gefällt Ihnen am Kochen?

Kochen ist so etwas wie meine Spielzeit. Wenn ich koche, habe ich am meisten Spaß. Von Natur aus bin ich kein großartiger Gesprächspartner. Ich drücke meine Gedanken und Gefühle durchs Kochen aus. Meine Gerichte sind Botschaften an meine Familie und Freunde. Und es sieht danach aus, dass ich darin hervorragend bin (lacht). In all diesen Jahren habe ich viele gute Beziehungen aufgebaut und neue Freunde gewonnen.

Vinet Bhatia bei der Vorbereitung von Chocomosa © Oberoi Hotels

Was ist so besonders an Ihrem Restaurant „Ziya“?

Meine Laufbahn fing Mitte der 1980er-Jahre bei Oberoi an. Danach ging ich 1993 nach Großbritannien. Dort wurde ich mit einem Michelin-Stern ausgezeichnet und konnte drei Jahre später mein eigenes Restaurant eröffnen, welches ich „Rasoi“ (dt. „Küche“) nannte. Das „Rasoi“ kam schnell unter die besten 25 in Großbritannien. Mich nannte man damals „einen der sieben besten britischen Köche“. Ich habe Indien verlassen, weil ich mich dort in meinen Kochkünsten nicht mehr ausdrücken konnte. Dann kam eine Einladung von Herrn Oberoi. Er wollte mit mir über ein neues Restaurant in seinem Hotel in Nariman Point in Mumbai sprechen. Das „Ziya“ (dt. „Pracht“ oder „Herrlichkeit“), ursprünglich „Kandahar“, entstand nach sehr traurigen Ereignissen, nämlich nach den Terroranschlägen in Mumbai. Das „Ziya“ bleibt immer etwas Besonderes für mich, weil ich als “verlorener Sohn” nach Hause zurückkam. Diese Einrichtung wurde zum Schaufester meines kulinarischen Ethos in Indien, ein Ort der Experimente, wo lokales Essen auf moderne Weise interpretiert wird.

Chocomosa © Oberoi Hotels

Lassen Sie uns über die Speisekarte sprechen!

Als das Ziya im April 2010 eröffnet wurde, war es für Inder wegweisend, über ihr eigenes Essen hinauszudenken. Ich wollte traditionelle Gerichte und ihre Kochweisen etwas überdenken und auf andere Art präsentieren. Aber die wichtigen Zutaten blieben gleich. Ich musste nur einige Änderungen einführen. Zum Beispiel mögen Inder es, ihr Essen mit anderen zu teilen. Diese Option habe ich durch ein Degustationsmenü mit verschiedenen Gängen ersetzt. Anstatt Essen mit Whisky zu begleiten, habe ich es mit Wein kombiniert. Familien kamen zu uns und sie haben die vertrauten Lieblingsaromen erkannt, aber die Präsentation und Zusammensetzung waren andere. Nehmen wir beispielsweise das Butterhuhn. Ich servierte dieses Gericht mit einer dünnen Püree-Sauce, die ich wie ein Makhani-Eis einfror. Ich biete das Gericht mit Khichdi aus Wildpilz an. Es gab in dieser Kreation ein heißes und ein kaltes Element. Würden Gäste die Augen schließen, hätten sie die gewohnten Zutaten erkannt. Aber als sie so etwas vor sich hatten, dachten sie keinesfalls an Butterhuhn. Das sind also meine kleinen Tricks, die ich gerne im „Ziya“ präsentiere.

Wie sahen Ihre Experimente vor dem Hintergrund anderer indischen Restaurants gleicher Kategorie aus?

Ich bin ganz stolz darauf, dass es gerade meine Experimente waren, die andere indische Chefköche zu einem originellen Ansatz für ihre Küchen und Gerichte motivierten. Das „Ziya“ hat ihnen gezeigt, was sie aus den üblichen Paneer Makhanis, Butterhuhn oder Biryani machen können. Und so wurden in Indien viele andere Restaurants eröffnet, die sozusagen „über den Tellerrand“ hinausdenken, Degustationsmenus im Angebot hatten und traditionelle Rezepte überdachten. Ich würde also keinen Rezept-zu-Rezept-Vergleich machen, aber unsere Gäste kommen nicht ins „Ziya“, um ein Butterhuhn, wie wir es kennen, zu essen.

Was ist Ihr Beitrag zur sogenannten Fusion-Küche?

Vor langer Zeit bin ich bei der Verwendung des Wortes “Fusion” zusammengezuckt. „Fusion“ assoziierte ich irgendwie mit „Confusion“ (dt.: Verwirrung). Später, dank meiner Frau, habe ich verstanden, dass die Verschmelzung der Küchen aus dem indischen Norden und Süden mit Osten und Westen auch „Fusion“ heißt, dabei befindet man sich immer noch innerhalb der indischen Grenzen. Viele kulinarische Wurzeln Indiens ließ ich  in meiner Küche unverändert, nur meine eigene Inspirationen habe ich hinzugefügt. Nehmen wir „Kulfi“ (indisches Eis). Egal, wie sehr ich experimentiere, ich muss trotzdem Milch bei langsamer Hitze kochen und über Nacht in einem Handi lassen, wie es die Tradition vorschreibt. Meinen Wurzeln bleibe ich immer treu, bloß neige ich dazu, alles anders darzustellen. In meiner Version füge ich zu Kulfi karamellisierte Milch oder Erdnussbutter hinzu.

Indisches Eis Kulfi in “Zyia” © tr

Wie planen Sie ein Menü?

Das Menü für jedes meiner Restaurants wird unter Berücksichtigung lokal verfügbarer Zutaten erstellt. In Mumbai haben wir viele Fischgerichte im Menü, aber auch gutes Fleisch von Lammlieferanten in der Nähe der Stadt. Viele Neuigkeiten, beispielsweise die Intensität der Schärfe, passen wir an den Geschmack  der Gäste an. Indische Gäste mögen es viel „schärfer“ als Europäer, aber wir nennen es nicht „schärfer“, sondern „intensiver gewürzt“. Unsere Aromen im „Ziya“ sind viel robuster als beispielsweise Gewürze in meinem Restaurant in Genf, in der Schweiz.

Was können Sie über neue Techniken sagen?

Ich verlasse mich auf das kulinarische Erbe meines Landes und passe dieses an Essgewohnheiten der neuen Zeiten an. Neu sind die Portionsgrößen sowie die Kombination der Zutaten. In der traditionellen indischen Küche mischen wir gerne verschiedene Kohlenhydrate. Um eine ausgewogene Ernährung zu gewährleisten, kombinieren wir nur zwei Arten der Kohlenhydrate mit Proteinen und vielen faserreichen Gemüsearten. Die Innovation und die Kochtechniken kommen in heutiger Zeit durch die Verwendung von Geräten, die man in den alten Tagen nicht kannte. Dies alles reduziert natürlich den Kochaufwand. Populär sind heute Techniken wie Sous vide, Kochen im Rational-Ofen oder Dämpfen, die ich in meinen indischen Rezepten anwende.

Was hat sich im Laufe der Zeit am Geschmack der Gäste verändert?

Meine Gäste sind mit der Zeit viel neugieriger geworden. Sie wollen experimentelle Gerichte probieren und wagen sich aus ihrer Komfortzone heraus. Sie halten sich also nicht an die Althergebrachte, mit der sie aufgewachsen sind, sondern sind bereit, neue Geschmacksrichtungen zu erkunden. Aufgrund der unterschiedlichen Lebensstile, denen wir heute folgen, ist die Portionsgröße jetzt ziemlich wichtig. Es wird viel Wert auf kleine Portionen und häufige Mahlzeiten gelegt. Wir gehen immer öfter zurück in die guten alten Zeiten der pflanzlichen Lebensmittel, aber dafür gibt es verschiedene Arten, wie heute diese Gerichte gegessen werden. Vegan, laktose- oder glutenfrei, unsere Vorfahren wussten nichts davon, wir dagegen fokussieren uns darauf. Das, was wir heute als „Superkörner“ oder „Superfood“ bezeichnen, war schon immer ein Teil der indischen Küche. Es ist nur so, dass ich plötzlich damit im Rampenlicht stehe und diese Bühne ganz für mich alleine habe. Jeder kann gutes Essen kochen, man muss aber etwas extra bieten, um erfolgreich zu sein.

Ziegenkäse mit Cashewkernen © Oberoi Hotels

Was wird sich Ihrer Meinung nach in diesem Geschäft in der Post-Covid-Ära ändern? Servieren Sie bereits ein Covid-Menü?

Darüber muss ich nicht viel nachdenken: Die indische Küche ist ja ohnehin Covid-freundlich (lacht). Sie enthält viele gesunde Gewürze, ob Ingwer oder Kurkuma. Diese haben einen hohen medizinischen Wert. Was sich wirklich ändert, sind die Menügrößen. Früher hatten wir etwa 80 bis 90 Gerichte auf der Karte, heute sind es nur 30 bis 40. Zukünftig werden wir eine kleinere Karte anbieten und sie öfter wechseln. Die Gerichte werden einfacher, dafür frischer. Früher bin ich 10 Monate im Jahr gereist. Als man mich fragte, wo mein Zuhause ist, habe ich immer geantwortet: „Mein Zuhause ist dort, wo meine Küche ist“. Heute reise ich kaum, sondern bin die ganze Zeit im Netz, um Online-Trainingsprogramme und Kochkurse vorzustellen. Wir haben virtuelle Abendessen und Degustationen, sogar schon live in einer Radiosendung und über Zoom gekocht. Vor den Sendungen bekamen alle unsere Teilnehmer Zutaten nach Hause geliefert. Ich kann mir vorstellen, dass die Menschen in der Zukunft weniger ausgehen werden. Für uns heißt es, dass wir unsere Preisgestaltung anpassen müssen, um wettbewerbsfähig zu sein. Ich werde weiterhin mit meinen verrückten Ideen experimentieren. Hier ändert sich nichts. Meine neueste Idee ist, in der Wüste mit verfügbaren Zutaten wie Kamelmilch zu kochen.

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